GGG Berlin Spezial
Einblick – Überblick:
Schulen konkret – Berliner "GemSen"
Rückblick – Ausblick:
Die Anfänge – Höhen und Tiefen – ... und weiter ?!
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Das ganze Heft: DIE SCHULE FÜR ALLE 2025/3
INHALT
Editorial / Impressum
IMPRESSUM WER FÜR UNS SCHREIBT
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Editorial
Dieter Zielinski
Liebe Berliner Mitglieder der GGG, liebe Leserinnen und Leser,
als 2001 die Ergebnisse der ersten PISA-Studie für Deutschland veröffentlicht wurden, war das Entsetzen groß. Deutsche Schüler:innen erreichten nur unterdurchschnittliche Werte im internationalen Vergleich. Besonders auffällig war der starke Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulleistung. Es entbrannte eine breite öffentliche Debatte über die Qualität des deutschen Bildungssystems. Viele pilgerten nach Skandinavien, um sich dort über die bei PISA erfolgreichen Schulsysteme zu informieren und von diesen zu lernen. In Deutschland folgten Bildungsreformen, zu denen auch die Einführung der Berliner Gemeinschaftsschulen gerechnet werden kann. In diesem Magazin berichten wir über das daraus gewordene Erfolgsmodell. Vom Erfolg zeugen die Ergebnisse der in der Pilotphase durchgeführten wissenschaftlichen Begleitung, die belegt hat, dass die Lernzuwächse der Schüler:innen an den Berliner Gemeinschaftsschulen größer als an vergleichbaren Schulen sind und auch, dass die herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligung verringert wurde. Vom Erfolg zeugen aber auch die Schulpreise, u. a. der Deutsche Schulpreis, mit denen Berliner Gemeinschaftsschulen in den letzten Jahren ausgezeichnet wurden.
Gemeinschaftsschulen gibt es auch in anderen Bundesländern. Das Besondere an den Berliner Schulen besteht darin, dass sie von vornherein als Langformschulen konzipiert sind und damit zumindest die Jahrgänge eins bis zehn, in der Regel sogar die Jahrgänge eins bis 13 umfassen.
In der Rubrik Einblick beschreiben neun Schulen jeweils einen Schwerpunkt ihres pädagogischen Konzeptes, ohne dabei ihr Gesamtkonzept aus den Augen zu verlieren. Zu den Schwerpunkten gehören z. B. der gebundene Ganztag, jahrgangsübergreifendes Lernen, heterogene und inklusive Lerngruppen, keine Zensuren sowie das Arbeiten in Teamstrukturen. Besonders hervorzuheben ist, dass sich alle Schulen als lernende Systeme verstehen, die sich ständig weiterentwickeln. Dank gilt an dieser Stelle den Autor:innen und Autoren dafür, dass sie sich trotz ihrer hohen Arbeitsbelastung Zeit für das Schreiben der Artikel genommen haben.
Ergänzt werden die Einblicke in die Praxis durch einen Überblick über die derzeit bestehenden Berliner Gemeinschaftsschulen. Gemessen am Erfolg dieser Schulform und der bereits 2008 aufgenommenen Arbeit sind dies allerdings viel zu wenig. Ziel muss es sein, die Anzahl in den nächsten Jahren deutlich zu erhöhen. Dazu bedarf es sowohl gesellschaftlicher, politischer als auch administrativer Unterstützung.
In den drei Artikeln der Rubrik „Rückblick-Ausblick“ werden die Hintergründe der Einführung der Gemeinschaftsschule, die Startphase, die Höhen und Tiefen im Verlauf ihres Bestehens sowie ein Ausblick darauf gegeben, was für die weitere Entwicklung bedeutsam ist.
Im Juli dieses Jahres ist eine vom Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen herausgegebene Potenzialstudie zum Ausbau von Gemeinschaftsschulen in Berlin erschienen. Darin befindet sich die Handlungsempfehlung, die Öffentlichkeitsarbeit für die Gemeinschaftsschulen zu stärken. Ich denke, dass dieses Magazin einen Beitrag dazu leisten kann. Unabhängig von ihrer GGG-Mitgliedschaft erhalten es alle Berliner Schulen, die schulpraktischen Seminare sowie die Schulaufsichtsstellen. Besonderer Dank gebührt in dieser Hinsicht dem Berliner Grundschulverband, der es ermöglicht, dass auch alle Berliner Grundschulen mit dem Magazin versorgt werden können.
Dass dieses Magazin überhaupt möglich wurde, verdanken wir Lothar Sack. Er gehört nicht nur zu den Ideengebern für das Magazin, sondern war mit unermüdlichem Engagement und Einsatz maßgeblich an der Fertigstellung beteiligt.
Ich wünsche Ihnen liebe Leserinnen und Leser, auch im Namen der Redaktion dieser Spezialausgabe unseres Verbandsmagazins, eine gewinnbringende Lektüre und nicht nur Berlin viele weitere Gemeinschaftsschulen.
Einblick – Überblick
In der Rubrik Einblick – Überblick der Ausgabe Heft 2025/3 unserer Zeitschrift Die Schule für alle geben im ersten Teil neun Schulen einen Einblick in ihre konkrete Arbeit. Im zweiten Teil geben wir einen Überblick über Berliner Gemeinschaftsschulen.
Die ganze Rubrik Einblick – Überblick mit allen Artikeln steht Ihnen zum Herunterladen zur Verfügung.
Einblick
Gemeinschaftsschule konkret
In neun Beiträgen in unserer Zeitschrift Die Schule für alle Heft 2025/3 berichten Berliner Gemeinschaftsschulen über jeweils ein für ihre Arbeit wichtiges Thema. Interessant ist dabei, wie sie ihr Fokusthema in die übrige Arbeit einbetten:
Friedenauer Gemeinschaftsschule, Paul-Fürst-Gemeinschaftsschule, Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule, Tesla-Schule, Freudberg-Gemeinschaftschule, Campus Hannah Höch, Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule, Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule, Fritz-Karsen-Schule
Alle Einblick(e)
Friedenauer Gemeinschaftsschule: Gemeinsam leben, gemeinsam lernen
Friedenauer Gemeinschaftsschule
Mit dem Start der Pilotphase der Berliner Gemeinschaftsschulen 2008 war von Beginn an deutlich, dass sich das Ziel inklusiven Lernens als wichtiges Element im Schulprogramm der Berliner Gemeinschaftsschulen etablieren sollte.
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Gemeinsam leben, gemeinsam lernen
Friedenauer Gemeinschaftsschule
Daniel Dolležal
Die Integration von Kindern mit und ohne Behinderung hat in Berlin seit den 1970er Jahren Tradition. Im Laufe der Jahrzehnte folgten viele gute Beispiele gemeinsamen Lernens an Grund- und Oberschulen, aus denen vorrangig unterschiedlichste „Leuchtturmschulen“ hervorgegangen sind. Die Veränderung des Berliner Schulgesetzes 2004 führte erstmalig ein inklusives Lernen an Berliner Schulen ein, indem Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf vorrangig an Regelschulen unterrichtet werden sollten. Mit dem Start der Pilotphase der Berliner Gemeinschaftsschulen 2008 war von Beginn an deutlich, dass sich das Ziel inklusiven Lernens als wichtiges Element im Schulprogramm der Berliner Gemeinschaftsschulen etablieren sollte.
Auch an der Friedenauer Gemeinschaftsschule hat der Gemeinsame Unterricht seine Tradition. Gegründet wurde die Schule 2012 aus einer Fusion von zwei Grundschulen, sowie einer Haupt- und einer Realschule. Eine der zwei Grundschulen war die Uckermark-Schule, welche mit dem Modell der wohnortnahen Integration als zweite Integrationsschule in Berlin galt und 1992 aufgrund der damit verbundenen schulischen Arbeit den Deutschen Grundschulpreis erhielt. Der Geist des inklusiven Verständnisses ist geblieben und so lernen bis heute Kinder mit unterschiedlichen Begabungen, Herkünften, sozialen Voraussetzungen und Beeinträchtigungen von Klasse 1 bis 13 miteinander und voneinander. Ungefähr 15 % der Kinder haben einen besonderen oder sonderpädagogischen Förderbedarf.
Der Anspruch der Schule ist es, auf vielen Ebenen einer in der Gesellschaft vorzufindenden heterogenen Schülerschaft gerecht zu werden. 2019 gewann die Schule aufgrund ihrer inklusiven Arbeit den Jakob-Muth-Preis für vorbildliche inklusive Schulen in Deutschland und gehörte 2024 zu den Preisträgern des Deutschen Schulpreises.
Inklusion ist ein Prozess, der sich auch an der Friedenauer Gemeinschaftsschule in 13 Jahren Schulentwicklung fortlaufend verändert. Dabei sind inklusive Prozesse durchgehend von Herausforderungen geprägt, die vor allem ein Werteverständnis und eine Haltung aller Pädagog*innen voraussetzen. Inklusion bedeutet auch, sich Herausforderungen zu stellen und den Mut zu haben, Wege zu gehen, die von Schwierigkeiten und Hindernissen geprägt sind. Inklusion bedeutet multiprofessionelles Arbeiten in Teams und die Bildung von Strukturen, die auf ein gemeinsames Lernen aller Kinder ausgerichtet sind.
Trotz der langjährigen Erfahrungen der damaligen Uckermark-Grundschule wurden integrative Strukturen zur Jahrtausendwende komplett abgetragen. Durch die zunächst stattfindende Fusion der zwei Grundschulen begann zunächst ein Neuaufbau. Der Schule ist es im ersten Schritt gelungen, eine Vielzahl von Sonderpädagog*innen einzustellen, die nicht nur sonderpädagogisch arbeiten, sondern auch als Fachlehrkräfte oder Klassenleitung tätig sind. Erzieher*innen werden fortlaufend zu Integrationserzieher*innen fortgebildet. Darüber hinaus ist ein multiprofessionelles Netzwerk von weiteren Fachkräften aus Therapeuten, Trägern der Jugendhilfe, Inklusionsassistent*innen und Sozialarbeiter*innen entstanden.
Inklusion beginnt schon mit dem Schulanfang. Anmeldegespräche dienen dazu, das Kind und die Eltern näher kennen zu lernen. Kooperationen mit umliegenden Kitas erleichtern die Kommunikation im Übergang und Schnuppertage laden ein, die Kompetenzen der Kinder kennen zu lernen. Gerade zu Schulbeginn ist es besonders wichtig die Stärken und Förderbedürfnisse zu identifizieren und für die Unterrichtsgestaltung einzuordnen.
In allen Jahrgängen arbeiten die Pädagog*innen in festen, multiprofessionellen Teams. Sie planen, gestalten und reflektieren den Unterricht und das pädagogische Handeln gemeinsam. Dafür sind feste Teamzeiten im Stundenplan verankert. Gemeinsames Lernen bedeutet auch als Kind in einer Gemeinschaft zu sein. Das jahrgangsübergreifende Lernen von 1–3, 4–6 und 7–9 ermöglicht, dass sich die Kinder immer wieder sehen. Übergänge können in sanfter Form stattfinden. Durch einen gezielten Personaleinsatz der Lehrkräfte in den jeweiligen Partnerklassen und durch Übergangssitzungen werden individuelle Bedarfe und Förderziele entsprechend weitergetragen.
Generell werden Fördermaßnahmen gemeinsam in sogenannten Förderplankonferenzen mit allen Pädagog*innen abgestimmt, die wiederum als Grundlage von zweimal jährlich stattfindenden Bilanz- und Zielgesprächen dienen. Sonderpädagog*innen übernehmen in der Förderplanung eine moderierende Rolle.
Inklusive Förderung baut sich in der Friedenauer Gemeinschaftsschule vorrangig über drei Säulen auf. Die erste Säule ist die Differenzierung innerhalb des jahrgangsübergreifenden Unterrichts. Jedes Kind lernt dort, wo es steht. Die Begleitung des Lernprozesses wird dabei über Logbücher und die Erstellung individueller Arbeitsmaterialien unterstützt. Multiprofessionelle Teams begleiten die Schülerinnen und Schüler in ihrem Alltag.
Die zweite Säule konzentriert sich auf diverse Förder- und Forderangebote, die es in einer Vielzahl während des Unterrichts und außerhalb der Unterrichtszeit gibt. Beispielhaft dafür sind Angebote zu Lese-Rechtschreibförderung, Rechenschwäche, lebenspraktischem Unterricht, Lesehund, Sprachfördergruppen, sowie Begabungskurse mit stufenbezogenen und stufenübergreifenden Angeboten. Das Projekt Übergang gilt zudem als ein besonderes Förderangebot für Kinder mit sehr herausragendem Verhalten in Kooperation mit der Jugendhilfe. Ziel soll sein, in einer Kleingruppe von vier Kindern und einem sehr strukturierten und ritualisierten Fördersetting, die Kinder im System der Schule zu halten. Darüber hinaus bietet die Schule auch Raum und Möglichkeiten zur therapeutischen Förderung während des Unterrichts, um damit auch eine Entlastung für Kinder und deren Erziehungsberechtigte zu geben.
Die dritte und sehr zentrale Säule sind Beratungsstrukturen innerhalb der Schule. Neben den Teamsitzungen, Förderplankonferenzen und diversen Beratungsangeboten durch externe Unterstützer und der Schulsozialarbeit bildet das Fallteam ein besonderes Kernelement. Dazu setzt sich ein Beratungsgremium, bestehend aus Leitungsmitgliedern der Schule, der Schulpsychologie und der beratenden Sonderpädagogin, einmal im Monat zusammen, um einen „Fall“ zu besprechen. Hierzu werden die Klassenleitung, die zuständige Sonderpädagogin und die Bezugserzieherin ausgeplant. Ziel ist es dabei, sich gegenseitig umfassend über das Kind auszutauschen, Thesen und Ideen zu entwickeln, um am Ende eine gemeinsame Strategie zur weiteren Förderung und zu weiteren Schritten zu verarbeiten. Die Ergebnisse haben in all den Jahren gezeigt, dass das inklusive Verständnis geschärft und die Verantwortung für das Kind auf mehrere Schultern verteilt wird.
Der Weg zu einer inklusiven Schule ist möglich, wenn es im Rahmen der Schulentwicklung gelingt, ein Werteverständnis gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention zu verankern und dies wie ein Dach über alle Schulentwicklungsprozesse stets im Blick zu behalten. Alle Kinder profitieren von einer Schule für alle, in der es darum geht, dass jedes Kind als Individuum seiner eigenen Lern- und Leistungsentwicklung gesehen wird. Gerade die Grundelemente der Berliner Gemeinschaftsschulen tragen in ihrer elementaren Schulstruktur dazu bei, dass inklusives Lernen vom Schulanfang bis zum Schulabschluss gelingen kann. Die Friedenauer Gemeinschaftsschule ist dafür ein gutes Beispiel. Es zeigt jedoch auch, dass inklusive Schulentwicklung Zeit braucht und den Willen dies in kleinen Schritten umzusetzen.
Weitere Informationen:
https://friedenauer-gemeinschaftsschule.de/
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
Paula-Fürst-Gemeinschaftsschule: Ganztag
Paula Fürst-Schule
Die Gemeinschaftsschule als Schule für alle ist nicht denkbar ohne ein umfassendes Konzept erweiterter Lernzeiten, Räume und dem abgestimmten Zusammenwirken multiprofessionell zusammengesetzter Teams – kurz der Ganztagsschule!
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Ganztag
Paula-Fürst-Schule
Karen Beecken
Die Gemeinschaftsschule als Schule für alle ist nicht denkbar ohne ein umfassendes Konzept erweiterter Lernzeiten, Räume und dem abgestimmten Zusammenwirken multiprofessionell zusammengesetzter Teams – kurz der Ganztagsschule!
Die Paula-Fürst-Schule, die Gemeinschaftsschule in Charlottenburg-Wilmersdorf, ermöglicht daher das Lernen über den ganzen Tag von der ersten bis zur zehnten Jahrgangsstufe im gebundenen Ganztagsbetrieb. Bei der Ausgestaltung leitet uns das übergeordnete Entwicklungsziel des individualisierten Lernens in der Gemeinschaft sowohl was die Unterrichtsphasen als auch die außerunterrichtlichen Phasen betrifft und insbesondere dort, wo sich diese beiden Phasen ergänzen und/oder überlagern.
Dazu gehört z. B. unsere Schülerbibliothek „Seitenreich“, die mit Schüler:innen organisiert zum Teil in den Unterricht, das Wahlpflichtprojekt, einbezogen ist, als auch im Freizeit- und AG-Bereich Angebote für Schüler:innen bietet und sie zur aktiven Mitarbeit einlädt. In ähnlicher Weise verbindet das Projekt „Paulas Special Kitchen“ den Unterrichtsbereich mit dem ganztägigen Bildungsbereich in Form einer Schüler:innenfirma, die ebenfalls vielfältige Lerngelegenheiten schafft und zu den übergeordneten Zielen der inklusiven Berliner Ganztagsschule (1) wie etwa der Lebensweltorientierung sowie der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung beiträgt. Bei beiden Angeboten ist die Verzahnung von Räumen, Zeit und Bildungselementen sowie der Kooperation zwischen schulischen und außerschulischen Akteuren so geglückt, dass Lernen über den ganzen Tag für die teilnehmenden Schüler:innen ermöglicht wird.
In den vergangenen 1,5 Jahren haben wir uns innerhalb der Schulgemeinschaft gefragt, wie wir die Angebote im gebundenen Ganztag insbesondere in der Sekundarstufe gemäß den Qualitätsstandards einer inklusiven Schule weiterentwickeln können. Dazu hat sich eine Steuergruppe, die Schulentwicklungsgruppe „Ganztag“ bestehend aus der Koordinatorin für den Ganztag, der Mittelstufenleitung, einem Erzieher aus dem Sekundarstufenbereich sowie einem Elternteil zusammengefunden, um zunächst Entwicklungsbereiche zu identifizieren. Diese fanden sich vor allem in den Qualitätsbereichen Zeit, Raum und Bildungselemente. Um wiederum den derzeitigen Stand in diesen drei Bereichen genauer zu erfassen wurden über einen standardisierten Fragebogen, den das Institut für Schulqualität des Landes Berlin (ISQ) (2) angebunden an die Qualitätsstandards entworfen hat, die Beteiligten der Schulgemeinschaft (Eltern, Schüler:innen, Erzieher:innen, Lehrkräfte) eingeladen an der Evaluation teilzunehmen. Aus den Ergebnissen der Befragung entwickelte die Steuergruppe wiederum einen Fokus, der den thematischen Schwerpunkt eines Workshops bildete: „Das Mittagsband als abwechslungsreiche Pause gestalten – anregen, auspowern, abhängen“.
Zu diesem Workshop waren neben der Schulentwicklungsgruppe „Ganztag“ vor allem Schüler:innen eingeladen, in einem partizipativen Prozess die im Fokus angesprochene Zeit des Tages nach ihren Bedürfnissen zu gestalten und damit auch beizutragen zu dem im Handlungsrahmen für Schulqualität festgeschriebenen Merkmal „Schulzufriedenheit und Außenwirkung“ (3). Hier bietet die Ganztagsschule als Lebensort für Kinder und Jugendliche besondere Möglichkeiten des ganzheitlichen Lernens unter besonderer Berücksichtigung ihrer spezifischen Bedürfnisse, die als Voraussetzung auch für erfolgreiche schulische Leistungen erscheinen. Durch die aktive Gestaltung des Tages übernehmen insbesondere die Jugendlichen Verantwortung für ihr eigenes Umfeld, erfahren Selbstwirksamkeit und tragen selbst dazu bei, den Ort, an dem sie einen erheblichen Teil ihrer Zeit verbringen, in ihrem Sinne positiv zu gestalten und gern zur Schule zu gehen.
Im Workshop wurde zunächst ein Ideenspeicher erstellt, aus dessen Elementen dann in einer weiteren Arbeitsphase konkrete Angebote entwickelt wurden, die mindestens einem der drei Bereiche anregen, auspowern oder abhängen zugeordnet werden können. Die konkreten Planungsinhalte wurden auf Projektkarten festgehalten und mit konkreten Verabredungen in die weitere Planungsphase überführt. Die neuen Angebote können so z. T. schon zu Beginn des neuen Schuljahres im September umgesetzt werden. Dazu gehört z. B. die Eröffnung eines Aufenthaltsraumes im Mensa-Bereich, in dem Schüler:innen gemeinsam mit einer Studentin für Soziale Arbeit anderen Schüler:innen die Möglichkeit zum Aufenthalt, für Austausch und/oder Spiele bieten. Da die Aufenthaltsmöglichkeiten für die Schüler:innen der Sek I im Vergleich zu den Schüler:innen in der Grundstufe relativ beschränkt waren, bietet sich hier ein Angebot, das unmittelbar anknüpft an die von Schüler:innen formulierten Bedürfnissen aus der Befragung.
Ein weiteres konkret geplantes neues Angebot umfasst die Parallelnutzung eines Klassenraums auch als Meditationsraum, der von Schüler:innen selbstorganisiert betrieben wird. Da hier noch die nötigen Anschaffungen zum Verstauen von Kissen und Matten (bereits vorhanden) getätigt werden müssen, bedarf es noch mehr Zeit für die Umsetzung. Aber auch in der Planungsphase sind die Jugendlichen bereits beteiligt und werden so in der Gestaltung der neuen Aktivität bereits aktiv eingebunden sein.
In unserer Entwicklungsarbeit erleben wir es als zentral, dass neben – leider nicht durchgängig – verlässlich zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen für den Ganztag auch eine klare personelle Zuständigkeit für die Steuerung der Entwicklungsprozesse gegeben ist. Dies erreichen wir derzeit mit einer Lehrkraft, die die Funktion einer Ganztagskoordination kommissarisch übernimmt sowie der sechsmal im Jahr tagenden entsprechenden Schulentwicklungsgruppe. Sehr hilfreich in diesen Prozessen ist die Unterstützung der Service-Agentur Ganztag in Berlin(4), die den zuvor beschriebenen Entwicklungsprozess mit externer Moderation und inhaltlichen Impulsen effektiv begleitet hat.
Im Sinne der kontinuierlichen Weiterentwicklung werden wir nun als nächstes den Kernbereich Zeit in den Fokus nehmen und die derzeitige Tages- und Wochenrhythmisierung im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Variablen weiterentwickeln. Eine besondere Herausforderung stellt dabei dar, dass die Paula-Fürst-Schule an zwei Standorten verortet ist, die knapp einen Kilometer voneinander entfernt sind. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Umsetzung einer inklusiven Ganztagsbeschulung stets vor Ort und mit einem hohen Maß an Partizipation aller Akteur:innen erfolgen muss, damit sie gelingt.
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(1) Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM): Qualitätsstandards für die inklusive Berliner Ganztagsschule, Ludwigsfelde 2021, S. 12.
(2) www.isq.berlin
(3) Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Forschung (Hrsg.): Handlungsrahmen Schulqualität in Berlin, Berlin 2013, S. 45
(4) https://www.sag-berlin.de/
Weitere Informationen:
https://paula-fuerst-gemeinschaftsschule.de/
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule: Lernwerkstat
Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule
„Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“ (Galileo Galilei)
Ausgehend von diesem humanistischen Leitgedanken entwickelte sich an der Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule in Berlin-Moabit eine besondere Form des Lernens: die Lernwerkstatt.
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Lernwerkstatt
Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule
Julian Hallmann, Carolin Arlt-Gleim
„Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“ (Galileo Galilei)
Ausgehend von diesem humanistischen Leitgedanken entwickelte sich an der Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule in Berlin-Moabit eine besondere Form des Lernens: die Lernwerkstatt. Im Schuljahr 2009/10 wurde ihr pädagogisches Konzept fest im Schulcurriculum (SchiC) verankert – als Ausdruck unseres reformpädagogischen Selbstverständnisses und als Antwort auf die Frage, wie Lernen gelingen kann, wenn es von innen heraus geschieht.
Ziel der Lernwerkstatt ist es, das intrinsisch motivierte Lernen einer jeden Schüler*in zu fördern. Dabei steht nicht die reine Wissensvermittlung im Vordergrund, sondern die Entfaltung individueller Interessen und Potenziale. Ein weites, thematisch offenes Oberthema bildet den Rahmen, innerhalb dessen die Lernenden eigene Fragestellungen entwickeln. Sie planen ihre Arbeitsschritte selbstständig – unterstützt durch Kompetenz- und Methodenkarten, die ihnen helfen, ihren Lernprozess zu strukturieren und zu reflektieren.
Die Lernwerkstatt ist ein Raum des forschenden Lernens, in dem Kulturtechniken eingeübt, Eigenverantwortung gestärkt und Selbstwirksamkeit erfahrbar wird. Sie ist ein lebendiger Ausdruck unserer Überzeugung, dass nachhaltiges Lernen dort entsteht, wo junge Menschen sich als aktive Gestalter*innen ihres Bildungsweges erleben dürfen.
Durch die feste Verankerung im Stundenplan (vier Wochenstunden, jeweils mit beiden Klassenlehrkräften) wird der Lernwerkstatt an der Heinrich-von-Stephan-Schule ausreichend Raum gewährt, um die o. g. Ziele adäquat verwirklichen zu können. Aus diesem Stellenwert entsteht natürlich auch eine Verpflichtung: Im Laufe der letzten Jahre kam es zu regelmäßigen Evaluationen und es kristallisierten sich wiederkehrende Kritikpunkte aus unserem Kollegium heraus. Um der reformpädagogischen Ausrichtung der Lernwerkstatt auch zukünftig gerecht werden zu können, bildete sich 2023 eine Projektgruppe aus vier Klassen. Die Lernwerkstatt sollte mit einigen Verbesserungen neu aufgestellt werden.
Die erste davon war flurübergreifendes Lernen. In unserer Mittelstufe sind auf einem Flur jeweils zwei jahrgangsübergreifende Klassen der Stufe J (Jahrgang 7 und 8) sowie zwei Klassen der Stufe M (Jahrgang 9 und 10). Die Idee war nun, die SuS dieser Klassen auch in bestimmten Phasen zusammenarbeiten zu lassen und die Klassenräume z. B. in Themenbereiche (z.B. GeWi, NaWi, Kunst und Deutsch) zu unterteilen, welchen sich die SuS klassenübergreifend zuordnen können. Grundvoraussetzung dafür ist selbstverständlich, dass alle Klassen des Flures zeitgleich Lernwerkstatt haben und entsprechende Fachkolleg:innen zur Verfügung stehen. Mittlerweile wurde dies bereits umgesetzt. Die flurübergreifende Lernwerkstatt bietet große Chancen, den SuS abwechslungsreiches, individuelles und vor allem eigenverantwortliches Lernen anbieten zu können. Es ergeben sich aber auch naheliegende Herausforderungen, weshalb wir vor allem hieran weiterhin arbeiten.
Ein weiterer Diskussionspunkt waren die Lernprodukte. Oftmals lief das Arbeiten in der Lernwerkstatt auf eine Online-Recherche mit anschließender PowerPoint-Präsentation hinaus.
Es fehlte auch eine Abstimmung auf unsere Oberstufenprofile. SuS können zwischen drei verschiedenen Profilen wählen: Politik/Englisch, Deutsch/Kunst und Biologie/Geographie. Daher macht es natürlich Sinn, den SuS die jeweiligen Profile schon während der Mittelstufe näher zu bringen. Vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich mangelt es oft an Interesse der SuS, was sich auch in sehr niedrigen Anmeldungen für die NaWi-Wahlpflichtkurse in der Mittelstufe zeigt.
Beiden genannten kritischen Befunden wollen wir nun mit der Design Thinking Methode begegnen. Beim Design Thinking geht es kurz gesagt darum, für eine Problemstellung Lösungsansätze zu entwickeln und dabei wie ein Unternehmen bzw. “Start-Up” vorzugehen. Kooperatives Lernen und Kompetenzorientierung stehen im Vordergrund. Hierzu gehört vor allem, dass sich die SuS in andere Personen hineinversetzen (“Nutzerperspektive erfassen”), um Lösungen für echte Menschen mit realen Problemen zu erstellen. Dafür werden u. a. Interviews mit betroffenen Personengruppen geführt und ausgewertet, Ideen gesammelt, eine Lösung/Prototyp (z. B. Herstellen realer Produkte, Ideen für eine neue App, Planung und Umsetzung von Aktionstagen innerhalb und außerhalb der Schule, Podcasts, Videos, Theaterstücke…) erstellt und diese anhand von Feedback durch eine weitere Befragung der Personengruppen erneut überarbeitet. Jede SuS-Gruppe kann dabei eigene Lösungen für unterschiedliche Personengruppen erstellen und z. B. Interviews mit diesen organisieren, u. a. waren das in diesem Schuljahr Fahrradfahrer oder Fußgänger, aber auch Polizei, Müllentsorgung oder Verkäufer*innen im Einzelhandel. Entwickelte Lösungen wurden dann in der Aula den Eltern der SuS präsentiert, auch auf dem Sommerfest können SuS an eigenen Ständen ihr Lernprodukt vorstellen.
Konkret haben die Projektklassen nun jahrgangsübergreifend im Schuljahr 2023/24 am Thema “Zukunft” (naturwissenschaftlicher Schwerpunkt) und 2024/25 am Thema “Ungerechtigkeiten” (gesellschaftswissenschaftlicher Schwerpunkt) gearbeitet. Ebenfalls in diesem Schuljahr haben weitere Klassen der Mittelstufe das im letzten Jahr erprobte Thema “Zukunft” bearbeitet. Mittelfristig werden insgesamt vier Themenbereiche und Unterrichtsreihen entwickelt und erprobt, sodass später alle SuS während der Mittelstufe abwechselnd von den Klassen 7–10 alle Themen bearbeiten. So wird gleichzeitig fächerübergreifendes Lernen ermöglicht.
In unserer Grundstufe werden die SuS bereits in den Klassen 1–4 im Rahmen des Sachunterrichts auf die Lernwerkstatt und das forschende Lernen vorbereitet. In den Jahrgängen 5/6 wird das Fach Lernwerkstatt regulär durch halbjährlich zu wählende Schwerpunkte unterrichtet, die an die Oberstufenprofile angelehnt sind, allerdings im Wahlpflichtbereich ohne Benotung. Mittelfristig sollen die Unterrichtsreihen zwischen Grundstufe und Mittelstufe weiter verzahnt werden, hier wurden erste Schritte bereits unternommen.
Die letzten beiden Jahre haben nun gezeigt, dass der Design Thinking-Ansatz große Chancen für die Motivation und das eigenständige, individuelle Lernen der SuS bietet. An diesem Ansatz werden wir festhalten, wenn nun die nächsten Unterrichtsreihen geplant und die bisherigen überarbeitet werden. Ergebnisse und Erfahrungen werden regelmäßig durch den Austausch der Klassenleitungen evaluiert. Als größte Herausforderung stellte sich das flurübergreifende Lernen heraus; sowohl, was Vorbereitung (z. B. differenziertes Unterrichtsmaterial für 4 Jahrgangsstufen) und Einsatzplanung angeht (Bereitstellen von verschiedenen Fachkolleg:innen), aber auch die konkrete Umsetzung im Unterricht (Unterstützungsangebote für lernschwächere SuS, Prävention von möglicher Frustration, gleichzeitige Arbeitsphasen für 4 Klassen).
Ganz wichtig: Das “Scheitern” ist beim Design Thinking ausdrücklich erlaubt. Die Ziele sind: Fördern von Eigenständigkeit, Selbstwirksamkeit und Flexibilität im Umgang mit Problemen in lebensnahen Situationen.
Weitere Informationen:
https://hvs-schule-berlin.de/
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
Tesla-Schule: Projektraumfest
Tesla-Schule
Heute ist ein besonderer Tag an der Tesla-Gemeinschaftsschule in Berlin-Pankow: Das vierte und letzte Projektraumfest des Schuljahres steht bevor. Heute öffnen alle Jahrgangsstufen ihre Türen zu einem lebendigen Marktplatz des Wissens.
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Projektraumfest
Tesla-Schule
Ilayda Kinzel, Maja Wessolowski
Heute ist ein besonderer Tag an der Tesla-Gemeinschaftsschule in Berlin-Pankow: Das vierte und letzte Projektraumfest des Schuljahres steht bevor. Heute öffnen alle Jahrgangsstufen ihre Türen zu einem lebendigen Marktplatz des Wissens. Dazu haben die Schüler:innen der 1. bis 10. Klassen ihre Räume vorbereitet, um ihre Projekte anschaulich und Neugierde weckend auszustellen.
Eltern, Pädagog:innen und Schüler:innen aller Jahrgänge sind eingeladen, die Räume zu betreten, die Projekte zu bestaunen und Fragen zu stellen. In den Fluren und Klassenräumen der Schule herrscht reges Treiben. Während des Projektraumfestes übernehmen die Schüler:innen kurze Präsentationen, in denen sie ihre Arbeiten vorstellen und erklären, was sie gelernt haben. Besonders spannend sind dabei die Mitmachstationen: Hier können die Besucher:innen selbst aktiv werden, Experimente durchführen, kleine Konstruktionen bauen oder kreative Aufgaben lösen. Das Projektraumfest ist ein Ereignis, das die gesamte Tesla-Schulgemeinschaft eine lebendige Feier des Lernens und der Kreativität erleben lässt.
Gedanken zum Projektunterricht
Der Projektgedanke ist in der deutschen Schulpädagogik seit den reformpädagogischen Bewegungen ein unverzichtbarer Bestandteil, der auf den Einflüssen bedeutender Pädagogen wie Comenius, Rousseau und Pestalozzi basiert (vgl. Fridrich 1994, S. 8ff.). Aus den unterschiedlichen Wurzeln sind im Laufe der Zeit verschiedene Konzepte (z.B. die offene Projektarbeit) entstanden (vgl. Fridrich 2001, S. 357). Dabei wird zumeist der Projektunterricht als eine im Stundenplan fest integrierte Lernform verstanden, die mehrmals pro Woche zu festen Zeiten ihren Ort findet (vgl. ebd./ Kesting 2022, S. 2). Im Stundenplan der Tesla-Gemeinschaftsschule ist der Projektunterricht mit zwei Wochenstunden (á 60 Minuten) in den Stundenplänen der Jahrgangsstufen 1–10 fest verankert. Da es sich jedoch um kein eigenständiges Fach im Fächerkanon handelt, wird seine Durchführung zeitlich aus dem Kontingent anderer Fächer gedeckt wie bspw. dem Sachunterricht in den Jahrgangsstufen 1–4.
In der Summe ist damit das Projektlernen viel mehr als nur eine willkommene Abwechslung (vgl. Fridrich 2001, S. 356f.). Der Anspruch besteht darin, dass die Schülerinnen und Schüler anstelle eines rein kopflastigen Unterrichts „… [vernetzt,] exemplarisch-entdeckend, selbstständig-handelnd, im Team … ganzheitlich lernen.“ (bm:bwk 2001, S. 65) (vgl. Fridrich 2001, S. 356f./ Bildungs- und Kulturdepartement Kanton Luzern 2023, S. 5). Diese Ganzheitlichkeit wird durch eine planvolle, selbstorganisierte, interdisziplinäre und kooperative Auseinandersetzung mit Fragestellungen und Problemen aus dem Lebens- und Interessenbereich der Schülerinnen und Schüler eingelöst (vgl. Fridrich 1994, S. 26/ Universität Koblenz 2018, S. 1). Zugleich und keinesfalls zu unterschlagen, werden dabei Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Teamfähigkeit, Planungs-, Gestaltungs- sowie Kommunikations- und Sozialkompetenzen praktisch und intrinsisch gefördert (vgl. bm:bwk 2001, S. 44/ S. 61/ Schweder 2009, S. 55).
Planung des Projektunterrichts
Die Planung des Projektunterrichts zeichnet sich fortführend durch eine Phasenstruktur aus, die sich wie folgt gestaltet (vgl. Schweder 2009, S. 31): Zunächst steht 1. die Projektidee an, bei der ein komplexes Problem oder eine Aufgabe als Ausgangspunkt dient (vgl. ebd.). Darauf folgt 2. die Projektdefinition, in der die eigentliche Aufgaben- oder Fragestellung selbst erarbeitet wird (vgl. ebd.). In 3. der Planungsphase wird die Organisation der Teamarbeit gestaltet, während 4. die Projektdurchführung die eigentliche Zusammenarbeit im Team bedeutet, bei der diskutiert, Denkweisen und Zwischenergebnisse zusammengeführt, der Projektfortschritt reflektiert sowie Entscheidungen getroffen werden (vgl. ebd.). Zum Schluss folgen 5. der Projektabschluss, bei dem das fertige Projekt präsentiert wird und 6. die Projektevaluation, bei der die Projektergebnisse und Lernfortschritte überprüft werden (vgl. ebd./ bm:bwk 2001, S. 11). Diese Phasenstruktur ist als Orientierungshilfe für die Praxis zu verstehen, da die einzelnen Phasen, die den didaktischen Prinzipien der Schüler-, Wirklichkeits- und Produktorientierung folgen, stets an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden sollten (vgl. ebd., S. 61/ Schweder 2009, S. 31).
So erarbeiten zu Beginn des Schuljahres die Jahrgangsteams der Tesla-Gemeinschaftsschule die Projektideen bzw. ‑themen auf Grundlage des Schulprofils und des Rahmenlehrplans Sachunterricht bzw. der Gesellschafts- und Naturwissenschaften und legen diese quartalsweise fest. Die Offenheit bzw. Konkretisierung der festgelegten Themenfelder hängt dabei von der jeweiligen Jahrgangsstufe ab. Das bedeutet: Je älter die Jahrgangsstufe, desto mehr Selbstbestimmung haben die Teslaner:innen bei der Gestaltung ihrer Projekte. In der Regel erfolgt dann nach einem kurzen Themeneinstieg die Bildung von Arbeitsgruppen, die sich anhand der vorgegebenen Bearbeitungszeit und des festgelegten Lernziels einen Arbeitsplan erstellen und die Aufgaben untereinander verteilen. Bei diesem Arbeitsprozess steht die Lehrkraft in einer beratenden Funktion zur Seite. Nach Ablauf der Bearbeitungsphase präsentieren die Arbeitsgruppen ihre erarbeiteten Lernprodukte anhand vorher festgelegter Kriterien und reflektieren gemeinsam ihren Arbeitsprozess. Abschließend werden die Ergebnisse im Rahmen des Projektraumfests vierteljährig ausgestellt und gebührend gewürdigt.
Fazit
Was bleibt, wenn zum Ende des Projektraumfestes sich die Türen der Klassen schließen, die Projektprodukte zusammengeräumt werden und die Eltern allmählich den Tesla-Campus verlassen? Zuallererst viele stolze Gesichter über das Präsentierte und eine Ahnung davon, dass gerade Wissen und Lernen in einer besonderen Form präsentiert und vermittelt wurde. Vielleicht aber eine Ermutigung auch dafür, Unterricht noch mehr zu öffnen, noch stärker fächerverbindend und damit ganzheitlicher zu arbeiten, das entdeckende Lernen in den Fokus zu stellen, Erfolge zu feiern und Schule somit zu einem besonderen Ort der Anerkennung und Selbstwirksamkeit werden zu lassen. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass das Projektraumfest ein Spiegelbild sein könnte, um in allen Fächern projektorientiertes Lernen dauerhaft zu etablieren.
Weitere Informationen:
https://www.tesla-schule.de/
Quellen
(1) Bildungs- und Kulturdepartement Kanton Luzern (2023): Projektunterricht im 9. Schuljahr – Umsetzungshilfe für Schulleitungen und Lehrpersonen. Online: URL: https://www.sz.ch/public/upload/assets/82552/Projektunterricht_Umsetzungshilfe_fuer_Schulleitungen_und_Lehrpersonen.pdf?fp=3 [Letzter Zugriff: 30.06.2025]
(2) Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (bm:bwk) (Hrsg.) (2001): Grundsatzerlass zum Projektunterricht. Tipps zur Umsetzung. Online: URL: https://pubshop.bmbwf.gv.at/index.php?rex_media_type=pubshop_download&rex_media_file=052_pu_tipps.pdf [Letzter Zugriff: 30.06.2025]
(3) Fridrich, Christian (1994): Chancen und Grenzen des Projektlernens an österreichischen Schulen aus heutiger Sicht. In: Anzengruber, Grete/ Hajek, Anton/ Kassar, Beatrix/ Wildmoser, Christa (Hrsg.): Projektunterricht. Chancen und Grenzen des Projektlernens. Wien: Jugend & Volk, S.7-30
(4) Fridrich, Christian (2001): Projektunterricht, projektartige Unterrichtsformen. In: Sitte, Wolfgang/ Wohlschlägl, Helmut (Hrsg.): Beiträge zur Didaktik des "Geographie- und Wirtschaftskunde"-Unterrichts. Bd. 16. Wien: Universität Wien, S.356-378
(5) Kesting, Lena Maria (2022): Warum Projektlernen? Praxisratgeber für Scrum und agiles Projektlernen im Unterricht. Online: URL: https://www.scolix.de/media/ntx/aol/sample/10708DA3_Musterseite.pdf?srsltid=AfmBOooMN9eV6qpsmCTGFn6OKDjJ9aSDLmZaBfbaj27y7wGaE8nzd2NZ [Letzter Zugriff: 30.06.2025]
(6) Schweder, Sabine (2009): Neue Chancen für Projektlernen. SCHOLA-21. Online: URL: https://sag-sh.de/storage/123/Arbeitshilfe-12----Neue-Chancen-f%C3%BCr-Projektlernen.pdf [Letzter Zugriff: 30.06.2025]
(7) Universität Koblenz (2018): Materialien und Methoden V: Offene Lernumgebungen gestalten. Online: URL: https://studienseminar.rlp.de/fileadmin/user_upload/studienseminar.rlp.de/gy-ko/Pflichtmodule_18-19/31_Materialien_und_Methoden_V_-_03.12.2018/04_Projektbegriff.pdf [Letzter Zugriff: 30.06.2025]
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
Freudberg-Gemeinschaftsschule: Jahrgangsübergreifendes Lernen
Freudberg-Gemeinschaftsschule
Schüler:innen in jahrgangsgleiche Gruppen zu sortieren und anzunehmen, dass sie deshalb gleich alt und leistungshomogen sind, ist ein Irrglaube – und findet außerhalb der Schule und im weiteren Leben kaum statt.
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Jahrgangsübergreifendes Lernen
Freudberg-Gemeinschaftsschule
Ann-Katrin Schwindt
Wenn ich gefragt werde, was das jahrgangsübergreifende Lernen (JÜL) für unsere Schule bedeutet, antworte ich meist: Es ist mehr als eine Form der Unterrichtsorganisation. Es ist Ausdruck unseres Verständnisses von Bildung – individuell, gemeinschaftlich, entwicklungsorientiert. Schüler:innen in jahrgangsgleiche Gruppen zu sortieren und anzunehmen, dass sie deshalb gleich alt und leistungshomogen sind, ist ein Irrglaube – und findet außerhalb der Schule und im weiteren Leben kaum statt.
An der Freudberg-Gemeinschaftsschule in Berlin-Wilmersdorf leben wir seit unserer Gründung 2016 ein jahrgangsübergreifendes Modell. In der Grundschule lernen unsere Kinder in Gruppen der Jahrgänge 1–3 und 4–6, in der Sekundarstufe in Jahrgängen 7–9. Nur in Klasse 10 arbeiten wir immer jahrgangsbezogen, um gezielt auf den Mittleren Schulabschluss vorzubereiten. Auch außerhalb des Unterrichts setzen wir auf Durchmischung: In Arbeitsgemeinschaften arbeiten Schüler:innen aus den Jahrgängen 7–10 gemeinsam und unsere Flure sind nicht nach Jahrgangsstufen gegliedert. So entstehen echte Begegnungen: Große helfen Kleinen bei Vorträgen, lesen im Morgenkreis vor oder kicken gemeinsam auf dem Schulhof. Wenn ein Zweitklässler morgens einem Zehntklässler einen schönen Schultag wünscht, ist das für uns gelebte Gemeinschaft.
Eine der wichtigsten Erfahrungen, die wir täglich machen, ist: Kinder lernen nicht nur Inhalte – sie lernen miteinander und voneinander. Ältere Schüler:innen übernehmen Verantwortung für jüngere, helfen bei Aufgaben, erklären Regeln oder trösten bei Unsicherheiten. Diese Beziehungserfahrungen fördern nicht nur die soziale Entwicklung, sie stärken auch die Selbstwahrnehmung und Empathie.
Eine besondere Stärke des jahrgangsübergreifenden Lernens zeigt sich bei uns in einem Aspekt, der selten im Zentrum steht, aber für die kindliche Entwicklung entscheidend ist: Beziehungsstabilität bei gleichzeitiger individueller Lernbewegung. Denn anders als im klassischen Jahrgangssystem müssen Kinder bei uns nicht die Klasse wechseln, wenn sie in einem Fach noch mehr Zeit brauchen oder in einem anderen beschleunigt lernen. Sie bleiben in ihrer vertrauten Lernumgebung, mit bekannten Bezugspersonen und Freund:innen, während sich ihre individuellen Lernpfade weiter entfalten. Das gibt Sicherheit – und ermöglicht Fortschritt ohne sozialen Bruch. Ein Schüler kann z. B. ein Jahr länger in der Jahrgangsstufe 1–3 bleiben, ohne dass er sein vertrautes Team oder seine Umgebung verliert. Genauso kann ein Kind aus der Jahrgangsstufe 2 bereits mit den Kindern aus Stufe 3 an herausfordernden Projekten arbeiten. Diese durchlässige Struktur macht nicht nur das Lernen flexibler, sondern vor allem auch menschlicher. Aus pädagogischer Sicht ist das ein zentraler Vorteil: Beziehungen zu Pädagog:innen und Peers bleiben erhalten – gerade in sensiblen Entwicklungsphasen, in denen Kinder und Jugendliche Bindung und Kontinuität dringend brauchen.
Unsere Entscheidung für JüL war auch wissenschaftlich begründet. Die wissenschaftliche Begleitung der Berliner Gemeinschaftsschulen zeigt, dass diese Schulform Bildungserfolg vom sozialen Hintergrund entkoppeln kann. In der Evaluation der Universität Hamburg heißt es: „Erstaunliche Lernzuwächse in allen Kompetenzbereichen – unabhängig von der sozialen Herkunft“ (1). Das bestärkt uns: Unsere Schule steht für Vielfalt und Chancengleichheit. JüL ist dafür ein zentrales Instrument.
Ein oft geäußerter Vorbehalt gegenüber JüL ist die Sorge vor Überforderung der Lehrkräfte durch heterogene Lerngruppen. Unsere Erfahrung zeigt jedoch: Gerade diese Heterogenität ermöglicht echte Individualisierung – wenn sie professionell gestaltet wird. Hierfür arbeiten wir nicht nur innerhalb der Klassenteams in möglichst multiprofessionellen Teams, sondern auch in den Jahrgangs- und Fachteams. Jeden Mittwoch treffen sich alle Pädagog:innen, um gemeinsam unterrichtsrelevante Themen zu besprechen, sich über Schüler:innen zu beraten und gemeinsam Unterrichtsmaterial vorzubereiten, auszuwerten und zu überarbeiten. Es ist essenziell, dass die Pädagog:innen sich nachhaltig organisieren und kooperieren. Doppelsteckungen in den Stunden, gemeinsame Planungszeit, kollegiale Hospitationen – wir arbeiten als Gemeinschaft an unserer Unterrichtsqualität. Teamarbeit ist unser tägliches Mittel, um heterogenem Kontext mit hoher didaktischer Professionalität zu begegnen.
Binnendifferenzierung ist für uns selbstverständlich: Mit Wochenplänen, individuellem forschendem Lernen und persönlichem Feedback schaffen wir strukturierte Freiräume, in denen jedes Kind im eigenen Tempo lernen kann. Wir setzen auf eine Balance aus individueller Arbeit und gemeinsamer Verbindlichkeit. Jedes Kind hat eigene Ziele – und wir stellen uns als Pädagog:innen die Frage: Was braucht dieses Kind zum Lernen? Das erfordert Beobachtung, Analyse und Dokumentation.
JÜL fördert auch die Selbstständigkeit. Gerade im forschenden Lernen sehen wir, wie Kinder eigene Fragen entwickeln, recherchieren, präsentieren. Es geht nicht um Noten, sondern um Erkenntnis, Methodenkompetenz und Kooperation. Kinder der ersten Klasse lernen mit älteren gemeinsam – profitieren von deren Fähigkeiten und wachsen an ihren Aufgaben.
Oft werden wir gefragt: Wie wirkt sich jahrgangsübergreifender Unterricht auf die Leistungen aus? Unsere Antwort: Differenziert – aber keineswegs negativ. Internationale Studien zeigen, dass JüL mindestens gleich gute Leistungen ermöglicht – in manchen Bereichen, etwa im Lesen oder in der Problemlösung, sogar bessere.
Natürlich bringt dieses Modell auch Herausforderungen mit sich: Jedes Schuljahr verändert sich ein Drittel der Lerngruppe. Die Ältesten verlassen die Stufe, neue Jüngere rücken nach. Das bedeutet: Jedes Team muss jährlich als Lerngemeinschaft neu zusammenwachsen. Dieses hohe Maß an Bewegung erfordert von uns – und von den Kindern – viel Beziehungsarbeit: Rituale des Ankommens, Räume des Kennenlernens, eine bewusst gelebte Willkommenskultur. Besonders in den ersten Wochen eines neuen Schuljahres investieren wir daher gezielt in Teambildung und soziale Orientierung. Klassenrat, Patenschaften und individuelle Gespräche helfen dabei, Rollen zu finden und Zugehörigkeit zu stiften. Wir wissen: Diese Übergänge sind sensibel. Aber sie bringen auch eine große Chance mit sich – nämlich die, soziale Offenheit und Integration aktiv zu fördern. Jüngere erleben, dass sie bald selbst zu den „Großen“ gehören. Ältere lernen, Verantwortung abzugeben und neue Mitschüler:innen aufzunehmen. So wachsen alle – in ihrer sozialen Reife und in ihrem Rollenverständnis.
Jahrgangsübergreifendes Lernen ist für uns also keine organisatorische Notlösung, sondern eine konsequente Antwort auf die Frage: Wie wollen wir Bildung in einer pluralen, dynamischen Gesellschaft gestalten?
Wir erleben täglich, wie unsere Schüler:innen Verantwortung übernehmen, sich gegenseitig stärken, eigenständig denken und handeln. Wir sehen, dass individuelle Förderung möglich ist – auch in heterogenen Gruppen. Und wir wissen, dass dies nur gelingt, wenn wir als Schulgemeinschaft gemeinsam daran arbeiten.
(1) https://ggg-web.de/be-bildung-politik/560/175
Weitere Informationen:
https://www.freudbergschule.org/
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
Campus Hannah Höch: Wie Vertrauen den Campus stärken kann
Campus Hannah Höch
Als einzige Gemeinschaftsschule im Berliner Bezirk Reinickendorf hat sich der Campus Hannah Höch bewusst der Begegnung mit Offenheit verschrieben, die schon im Campusbegriff angelegt ist.
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Wie Vertrauen den Campus stärken kann
Campus Hannah Höch
Linda Helbig, Beat Seemann, Patricia Soler, Clara Wengler
Als einzige Gemeinschaftsschule im Berliner Bezirk Reinickendorf hat sich der Campus Hannah Höch bewusst der Begegnung mit Offenheit verschrieben, die schon im Campusbegriff angelegt ist: Ein Campus, das ist der lateinischen Wortbedeutung nach ein offenes Feld. Dieses offene Feld zeigt sich im Äußeren auf fast drei Hektar Gelände, gelegen mitten im Märkischen Viertel Berlins. In diesem strukturell herausfordernden Sozialraum ist der Campus eine Schule für alle, wobei in inklusiven jahrgangsübergreifenden Lerngruppen ganztägig gelernt und gelebt wird.
Im Äußeren zeigt sich die Offenheit des Campus nicht nur durch die Weite des Geländes, sondern auch in den Gebäuden selbst, etwa in den bis zu 400 qm umfassenden offenen Lernetagen, die durch das Herausreißen von Wänden der klassischen 70er-Jahre-Bauten bereits zu Beginn der 2000er Jahre entstanden sind. Wo Offenheit herrscht, wird Gestaltung möglich, ganz im Sinne der im OECD-Lernkompass 2030 vielbeschworenen Student Agency. Schüler:innen werden zu handelnden Akteuren ihres Lernens und Lebens am Campus – dies fördert und fordert Vertrauen.
Schüler:innen gestalten individuelle und gemeinsame Lernwege
In allen Stufen bearbeiten die Lernenden einen Teil von Aufgaben in festgelegten individuellen Lernzeiten an – je nach Entwicklungsstand und Bedürfnis – frei gewählten Arbeitsorten: Wo kann ich gerade lernen, was tut mir gut? Boden, Einzeltisch, Ecke, im Klassenraum, im Flur, ganz nah bei der Lehrkraft für schnelle Rückmeldung oder weiter weg, zum Beispiel in der Bibliothek? Insbesondere durch die jahrgangsübergreifende Zusammensetzung der Lerngruppen wird ein möglichst konkurrenzfreier Raum für das gemeinsame Lernen im eigenen Tempo geschaffen.
Durch die individuelle Passung der Aufgaben und die damit verbundene Erfolgswahrscheinlichkeit erlangen die Kinder Vertrauen in ihr eigenes Lernhandeln und erleben sich als selbstwirksam. Zugleich wird das Selbstvertrauen durch das Sichtbarmachen der Lernzuwächse, zum Beispiel im Logbuch und auch in den Kreisgesprächen gestärkt: „Ich bin gut, so wie ich bin!“ Gelingt die Passung, wächst auch das Vertrauen der Kinder in die Lehrkraft, dass die Aufgaben sinnvoll sind und kein sinnloses Üben für alle Kinder im Gleichschritt erfolgt. Die notwendigen Selbststeuerungsfähigkeiten der Kinder und Jugendlichen sind jedoch höchst individuell und auch im Tages- und Wochenverlauf unterschiedlich, so dass die Lehrkraft Kinder, bei denen die Fortschritte stagnieren, enger begleitet, für Sicherheit und Struktur sorgt und die Reflexion anregt: Brauchst du Ruhe? Hilft es, wenn du alleine bist? Brauchst du die Nähe der Lehrkraft? Konntest du schon feststellen, dass du neben einem Kind ganz besonders gut lernen konntest?
Die vielfältigen Notwendigkeiten der Unterstützung von individualisierten Lernprozessen bringen das System da an Grenzen, wo eine Lehrkraft 26 Kinder allein begleitet, die mitunter sehr komplexe Hilfebedarfe mit sich bringen. Hier ist die multiprofessionelle Zusammenarbeit mit z. B. Erzieher:innen und Sonderpädagog:innen maßgeblich für das Gelingen des Ansatzes. Aber auch das jahrgangsübergreifende Lernen mit Lernpatenschaften und Helfersystemen stellt eine Ressource für das Gelingen dar.
Schüler:innen gestalten ihre Leistungsbeurteilung
Die Logbücher, wie sie mittlerweile an vielen Schulen eingesetzt werden, bieten den verbindlichen Raum für die Lerndokumentation und Lernreflexion. Wir führen halbjährlich Bilanz- und Zielgespräche mit den Kindern und ihren Eltern durch. Grundlage dieser Gespräche ist eine umfassende Selbsteinschätzung der Schüler:innen zu ihrer eigenen Lern- und Leistungsentwicklung sowie besondere Lernprodukte. Mit Blick auf eine regelmäßige Leistungsbeurteilung verzichten wir bis zur Jahrgangsstufe 6 auf die Vergabe von Noten und stellen den Kindern am Ende jedes Schuljahres ein kompetenzorientiertes Indikatorenzeugnis aus: Was kann ich schon? Wie gut kann ich das schon?
Schüler:innen gestalten ihre Pausen
Im Mittagsband, das je nach Klassenstufe ein bis zwei Zeitstunden umfasst, öffnen sich neben dem Mittagessen zahlreiche Räume und Möglichkeiten für eine sinnstiftende Pausengestaltung. Dabei vertrauen wir darauf, dass die Lernenden die Pause gemäß ihren persönlichen Bedürfnissen individuell sinnvoll gestalten. Während einige die Pause als ganz individuellen Freiraum schätzen und sich in einer unserer Bibliotheken, auf einem der Sportplätze, in den offenen Ateliers, sowie Angeboten der Schulsozialarbeit aufhalten, nehmen viele Schüler:innen an den zahlreichen offenen Mittagsbandangeboten teil. Für die Jahrgänge 7 bis 10 gibt es z. B. täglich zehn offene dreißigminütige Angebote, die von Lehrkräften angeleitet werden. Wichtig für den Erfolg der Angebote ist die Balance zwischen Bewegungs- und Sportmöglichkeiten, Bildungsangeboten und Lernberatungen, Entspannungsangeboten sowie kreativen Betätigungsfeldern. Die Möglichkeiten reichen von Yoga, Fußball, Ringen und Raufen über Berufs- und Lernberatungen sowie Angeboten zur Erweiterung der Digitalkompetenzen hin zu Tik-Tok-Tänzen, Karaoke, Klavierpausen, Kreativwerkstätten und Betätigungen in der Schülerfirma. Das Mittagsband ist damit auch ein Raum zum Verfolgen eigener Interessen sowie zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung und wichtiger Bestandteil unserer gebundenen Ganztagsschule. Zugleich finden auch Pädagog:innen mitunter in den Ganztagsangeboten einen besonderen Raum, ihre persönlichen Leidenschaften zum Tragen zu bringen.
Schüler:innen gestalten ihre eigenen Konfliktlösungen
Seit dem Schuljahr 2023/2024 gehört ein Schüler:innenmediationsprojekt zum festen Bestandteil des gemeinsamen sozialen Lernens. Die Kinder und Jugendlichen selbst benötigen in hohem Maße Vertrauen in die Mediation, dass Gleichaltrige die Lösung von Konflikten ebenso und vielleicht sogar besser unterstützen können als Lehrkräfte. Die Mediator:innen brauchen Selbstbewusstsein und Teamfähigkeit, um die Aufgabe der Konfliktlösung gut zu meistern. Dies wird in einer umfassenden Ausbildung durch einen Kooperationspartner der Schule gelernt und in der wöchentlich stattfindenden Arbeitsgemeinschaft vertieft. Durch jede einzelne erfolgreich durchgeführte Mediation erleben die Mediator:innen Selbstwirksamkeit und lernen, Konflikte zu reflektieren und gemeinsam Lösungen dafür zu entwickeln. Die Konfliktparteien fühlen nach einer gelungenen Mediation, dass ihre Probleme und Sorgen ernst genommen werden. Durch einen jährlichen Ausbildungsdurchgang für Schüler:innen, versprechen wir uns eine organische Entwicklung der Konfliktlösekompetenz in der Schülerschaft insgesamt, die sich positiv auf unser ganzes Schulklima und die Dialogkultur auswirkt.
Vertrauen als Gelingensbedingung und Ergebnis der Weiterentwicklung
Ganz so, wie die Lernkultur für unsere Kinder und Jugendlichen als angstfreier Raum gemeinsam gestaltet sein soll, muss das auch für die Schul- und Unterrichtsentwicklung gelten. So wird momentan in der Grundstufe ein sogenannter „Zukunftstag“ erprobt, wobei die Lernenden selbstständig Projekte in ihrer Umgebung durchführen; neben anderen Aktionen besuchten sie zum Beispiel Altenheime – unterstützt von ihren Lehrkräften als Lernbegleiter.
Vgl. ausführlicher: Linda Helbig, Beat Seemann, Patricia Soler, Clara Wengler: Ein Campus als offenes Feld. In: Lernende Schule 108/2024. Seite 26-29.
Weitere Informationen:
https://www.campus-hannah-hoech.de/
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule: Geborgenheit und Gemeinschaft
Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule
In der Peer Review unserer kritischen Freunde vom „Blick-über-den-Zaun“ im November 2023 wurden unsere Schüler*innen von den Beobachter*innen gefragt, welcher Begriff am ehesten für ihre Schule zutreffen würde. Die Grundstufenkinder an der „kleinen Anna“ antworteten mehrheitlich „Geborgenheit“, im Sekundarstufenteil an der „großen Anna“ wurde „Gemeinschaft“ genannt.
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Geborgenheit und Gemeinschaft
Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule
Karin Richter, Andreas Hanika
In der Peer Review unserer kritischen Freunde vom „Blick-über-den-Zaun“ im November 2023 wurden unsere Schüler*innen von den Beobachter*innen gefragt, welcher Begriff am ehesten für ihre Schule zutreffen würde. Die Grundstufenkinder an der „kleinen Anna“ antworteten mehrheitlich „Geborgenheit“, im Sekundarstufenteil an der „großen Anna“ wurde „Gemeinschaft“ genannt.
Woran liegt das? Betrachten wir Emil: Er macht gerade seinen mittleren Schulabschluss (MSA) an der „AEGS“ und hat dafür an beiden Standorten der Schule, der „Kleinen“ und der „Großen“ Anna gelernt, die immerhin 8 km voneinander entfernt liegen.
Wir gehen den Fragen nach: Was verbindet uns? Was trägt uns?
Kleine Anna
Als Emil an einem Samstag im September an der Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule eingeschult wurde, kannte er sie schon ganz gut.
Er hatte bereits das benachbarte Montessori-Kinderhaus besucht; so sind ihm das Gebäude, der Hof und die Pädagogik samt der Materialien bereits vertraut. Seine Aufregung vor der „echten“ Schule hatte sich bereits am Ende seines letzten Kindergartenjahres gelegt, als er und alle mit ihm gemeinsam angemeldeten neuen Erstklässler*innen einen Vormittag lang zum Spielen, Basteln, Singen und Kennenlernen der Hort-Räume und des Schulhofes in der „Kleinen Anna“ zu Besuch waren. In der ersten Schulwoche vor der Einschulung war er dann bereits jeden Tag im „Hort“ (korrekt: „EFöB“) gewesen und hatte dort die anderen Erstklässler*innen seiner Klasse und seine Klassenerzieher*in kennen gelernt. An der Einschulung nahmen dann seine eigenen Klassenkamerad*innen aus den Jahrgängen 2 und 3 teil, die die ganze Woche für die Aufführung geübt hatten. Der Einstieg in die Gemeinschaft wurde also schon hier ganz leicht gemacht.
Im 1. Jahr seiner 123‑Zeit erlebte Emil dann das Lernen in der jahrgangsgemischten Gruppe. Zu Beginn stand ihm ein Pate zur Seite; und auch alle anderen „großen“ Zweit- und Drittklässler*innen kannten sich mit dem Material, den Abläufen in der Klasse und allem anderen bestens aus und halfen ihm – wenn nötig. Dass in seiner Gruppe auch noch mehrere Inklusionskinder lernten, fand er nicht bemerkenswert, so kannte er das ja bereits aus seiner Zeit im Kinderhaus. Toll fand er, dass auf diese Weise oft nicht nur seine beiden Lehrer*innen und ein(e) Erzieher*in, sondern auch noch eine Schulhelfer*in in der Klasse waren und ihm als Ansprechpartner*in und Lernbegleiter*in zur Verfügung standen. Ganz ehrlich: Wer hier in welcher Rolle arbeitete, wusste er nicht wirklich. Aber es war ihm auch egal. Nett waren sie alle, und offensichtlich verstanden sie sich auch sehr gut...
Besonders eindrucksvoll fand er die wöchentlich dargebotenen „Kosmischen Erzählungen“ von Maria Montessori und den „Klassenrat“, der von den Klassensprecher*innen der Klasse geleitet wurde.
Schon bald stellte Emil fest, dass er zwar zu den Jüngsten gehörte, inzwischen aber schon gut lesen konnte und deshalb auch immer wieder Aufgaben von den „Großen“ bearbeiten konnte. Besonders gern mochte er die Freiarbeit und da vor allem das Arbeiten mit den Montessori-Materialien.
Am Ende seines 2. Schuljahres traf Emil das erste Mal seine kleine Schwester Maja in „seiner“ Schule, sie schnupperte im Rahmen des „Kennenlerntages“ nun ihrerseits in die Schule hinein. Bislang hatte er es still genossen, als Schulkind so viel größer als sie zu sein und nicht mehr das benachbarte Montessori-Kinderhaus (1) zu besuchen. Doch ein bisschen stolz machte es Emil auch, dass seine kleine Schwester durch ihn als Geschwisterkind einen Platz an der „Kleinen Anna“ bereits sicher hat. Plätze sind begehrt und bereits zur 1. Klasse ist die Schule deutlich übernachgefragt, nicht nur im Zehlendorfer Kiez, sondern als montessori-profilierte Grundstufe einer Gemeinschaftsschule auch weit darüber hinaus.
Den Namen „Kleine Anna“ nahm Emil immer wieder mal wahr, denn manche Kinder erzählten von ihren Geschwistern, die bereits an der „Großen Anna“ sind. Und ein paar Mal im Schuljahr waren tatsächlich auch große Schüler*innen aus den Klassen 7–10 zum Vorlesen da oder als Praktikant*innen im Unterricht.
Im Lauf der nächsten zwei Jahre wurde Emil ein „Großer“ in der 123-Klasse. Er übernahm als Pate die Betreuung eines neuen Erstklässlerkindes, nahm als Klassensprecher an den Sitzungen des „Anna-Kids-Parlaments“ teil und erarbeitete ein erstes eigenes kleines „Portfolio“ zu einem Thema, das ihm besonders am Herzen lag. Er präsentierte es seiner Klasse, seinen Eltern und Freunden und war nun gut auf den Wechsel in die 456-Klasse vorbereitet.
In der neuen Klassenkonstellation lebte sich Emil dank des Patensystems schnell ein. Zwar hatte er jetzt mehr Fachunterricht und längere Schultage, aber dafür war er ja nun auch einer der „Großen“. Besondere Freude bereiteten Emil die Anna-Games, die fröhlichen Spiel-Sportfeste, die gemeinsam mit der „Großen Anna“ jeweils einmal im Sommer und im Winter stattfinden.
Spätestens hier wurde ihm klar, dass auch die „Großen“ aus den 78910er-Klassen nett und hilfsbereit sind und dass er nach der 6. Klasse an die Große Anna übergehen würde. Beim Kennenlerngespräch mit der Schulleitung durfte er Wünsche äußern und erhielt schließlich mit Romy und Anil zwei seiner Wunschfreund*innen als Klassenkamerad*innen an der Oberschule.
Die letzten Wochen an der Grundstufe fühlten sich irgendwie merkwürdig an: so groß und irgendwie schon „entwachsen“, aber doch in der Geborgenheit seiner Mitschüler und auch vom Klassenleitungsteam (2) noch wohlig umschlossen.
Große Anna
Als Emil an einem Dienstag im September schließlich an der Großen Anna eingeschult wurde, kannte er sie schon ganz gut. Ihm als Großen fiel auch der nun längere Schulweg nicht schwer; die Selbständigkeit mit dem Fahrrad oder mit den „Öffis“ zu fahren, hatte er ja bereits in der 6. Klasse gut trainiert. Mit Romy und Anil an seiner Seite und ebenfalls Paten fiel ihm die Eingewöhnung gar nicht so schwer. Die Älteren an seiner Tischgruppe erklärten ihm, dass der Themenzentrierte Unterricht (TZU) so ähnlich sei wie die Kosmische Erziehung an der Grundstufe zuvor: Ein großes Thema (3) wird mit sehr viel Zeit und aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und neben wichtigen Grundkenntnissen, die die Lehrkräfte vermitteln, spezialisiert man sich selber auf einen Bereich, den man am interessantesten findet und erarbeitet dazu ein Lernprodukt. Dieses wird präsentiert.
Hier spürte Emil dann aber zunächst doch ein mulmiges Gefühl, als er als Fußballfan beim Thema Migration „nur“ ein Fußballplakat mit Informationen zu den Migrationshintergründen der Spieler seines Lieblingsvereins erstellt hatte. Durch die Möglichkeit, dieses nur Romy und Anil und zwei anderen aus der Klasse vorzustellen, fiel ihm die Präsentation dann aber leicht. Und als es später im Klassenraum hing, und er auch anderen viele Fragen beantwortete und diese rückmeldeten, dass sie es eine tolle Idee fanden, Migration einmal von der sportlichen Seite aus zu betrachten, wuchs er beträchtlich.
Fortan war auch die Herausforderung von Präsentationen vor Größeren und ganzen Gruppen kein Thema mehr.
Überrascht hatte Emil schon, dass die älteren 9er und die 10er, die Zensuren erhielten, diese zu keinem so großen Thema machten, man bekam sie eben. Irgendwie schien es beim Thema Bewertung genau wie an der Grundstufe weiterzugehen. Deutlich häufiger als fachliche Themen wurden Werte besprochen und beurteilt, die die ganze Persönlichkeit der Schüler*innen ausmachen: Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft, Einsatz für die Klassengemeinschaft und gelebte Toleranz.
In seinen halbjährlichen Bilanzgesprächen ging es bei Emil zumeist auch um diese Themen und um die Frage, ob er seine Ziele des vergangenen Halbjahres verfolgt und erreicht hätte und welche er sich für die nächste Zeit setzen würde. Emils Eltern waren immer wieder überrascht, dass diese Gespräche so lang und intensiv waren und sich meist auch mehrere seiner drei Klassenlehrer*innen Zeit dafür nahmen.
In wenigen Wochen nun wird Emil sein MSA-Zeugnis erhalten und anschließend ein freiwilliges soziales Jahr antreten. Schon immer half Emil gern anderen, und er war nicht nur für Rufus, dem Jungen mit dem Downsyndrom in seiner Klasse, ein zugewandter Lern- und Spielpartner, sondern auch den Pädagog*innen der Kleinen Anna eine wertvolle Unterstützung in seinem Praktikum dort.
Am gleichen Tag wie für Emil findet auch Majas Abschlussfeier statt. Emils Schwester und ihren Eltern half bei der Entscheidung in der 8. Klasse die Jahrgangsstufe zu überspringen, die breite Jahrgangsmischung. Im gewohnten und sicheren Umfeld desselben Klassenverbandes bearbeitete sie von heute auf morgen nahezu mühelos den Stoff der Älteren und erzielte auch dort beachtliche Leistungen.
Gefragt, was sie am meisten vermissen wird, wenn sie im nächsten Schuljahr ein Auslandsjahr antreten wird, nannte sie die „Gemeinschaft“. Und sie sei glücklich an einer Schule lernen zu können, die dieses Wort sogar im Namen trägt.
(1) Die Kooperation mit dem Union-Hilfswerk, unter dessen Trägerschaft die KiTa läuft, funktioniert besonders gut.
(2) Klassenleiterin / Teamerin / Erzieher*in
(3) Halbjahresthemen sind u.a. Globalisierung, Revolutionen, Migration, Klimawandel.
Weitere Informationen:
https://aegs.de/
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule: Multiprofessionelle Teamarbeit
Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule
Die Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule erhielt 2024 aufgrund ihrer datenbasierter Schul- und Unterrichtsentwicklung in Verbindung mit einer außergewöhnlich positiv professionellen Bindung zwischen Lernenden und Pädagog*innen den Deutschen Schulpreis: „All Inn und eine Schule ohne Klassifizierung und Stigmatisierung!“ (Schulpreisjury)
Die Gelingensbedingungen für ein kohärentes Agieren eines multiprofessionellen Teams sind der Fokus dieses Beitrags.
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Multiprofessionelle Teamarbeit
Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule
Judith Bauch
Die Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule erhielt 2024 aufgrund ihrer datenbasierter Schul- und Unterrichtsentwicklung in Verbindung mit einer außergewöhnlich positiv professionellen Bindung zwischen Lernenden und Pädagog*innen den Deutschen Schulpreis: „All Inn und eine Schule ohne Klassifizierung und Stigmatisierung!“ (Schulpreisjury)
Die Gelingensbedingungen für ein kohärentes Agieren eines multiprofessionellen Teams sind der Fokus dieses Beitrags.
Mit All Inn haben wir die Komplexität des Zusammenspiels der Konzeptelemente für das inklusive und individualisierte Lernen gekennzeichnet, die vom Kind her entwickelt wurden und kohärent ineinandergreifen:jahrgangsübergreifendes Lernen über drei Jahrgänge, thematisches, exemplarisches, projektorientiertes und kooperatives Lernen in Fächerverbünden, Lernen an anderen Orten, das Projekt Herausforderung und die soziale Verantwortung, eine Rhythmisierung von An- und Entspannung im gebundenen Ganztag, keine Notenpunkte und Zensuren bis Jahrgang 9, Ansprache aller mit Vornamen und „Du“, Selbstüberprüfung zum selbstgewählten Zeitpunkt statt Klassenarbeiten, und nicht zuletzt Gemeinschafts- und Demokratiebildung von Anfang an.
Die bereits 2008 entwickelten Säulen des Schulkonzeptes – unsere Philosophie – wurden in einer aufwachsenden, sich jährlich vergrößernden Schule von 104 zu 1050 Lernenden und von 12 zu 140 Pädagog*innen heute in die Köpfe und Herzen weitergegeben und modifiziert. „Die gemeinsame Philosophie motiviert die Beteiligten durch ein überzeugendes Ziel, das die Richtung weist.“ (1, S. 123.)
Systematische Schul- und Unterrichtsentwicklung waren nur möglich, weil vom Beginn an Teamstrukturen angelegt, umgesetzt und weiterentwickelt wurden.
Unsere Arbeit in einer komplexen Teamstruktur beruht auf folgenden Grundsätzen:
- Wir haben Vertrauen in die Arbeit des anderen und können unsere Kraft konzentriert einbringen.
- Wir arbeiten effektiv, indem wir dezentralisiert diskutieren und Gesamtkonferenzen in den Teams vor- und nachbereiten.
- Klarheit in der Struktur, den Inhalten, in der Kommunikation, in der Dokumentation führen zur Entlastung.
Die Eltern- und die Schüler*innenvertretung organisieren sich ebenfalls in Teams. Das ermöglicht konsequent Partizipation und Zusammenarbeit sowie eine effektive Zusammenarbeit zwischen den Schüler*innen, Eltern und dem Team.
Die Schule hat für ihr komplexes Teamsystem einen übersichtlichen Zeit- und Arbeitsplan sowie Aufgabenbeschreibungen entwickelt. Regelmäßige Evaluationen und Fortbildung der Teamleitungen führen zum Erleben der Teamsitzungen als sinnvoll genutzte Zeit, auch wenn sie oberhalb des Deputates liegen.
Die Hausteams – multiprofessionell
Die Jahrgänge 1–10 der Schule sind gedrittelt und räumlich in drei Häuser verteilt. Jede Kolleg*in jeglicher Profession ist einem Haus zugewiesen. So entsteht innerhalb der großen Schule für alle Geborgenheit durch Übersicht, Bezug und Beziehung. Hier finden organisatorische Besprechungen z. B. zu Schulhöhepunkten, Austausch zu pädagogischen Schulentwicklungsthemen (A-Woche), kollegiale Fallberatungen sowie kooperative Förderplanung (FBS-Woche; FBS=Fallbesprechung), aber auch die Möglichkeit sich im Lerngruppenteam abzustimmen (B-Woche), statt. Verwaltungsleiterin und Hausmeister sind bei Bedarf dabei.
Die Jahrgangsteams – Unterrichtsentwicklung und interne Mini-Fortbildungen
Auf der horizontalen Ebene sind unsere Jahrgangsteams angelegt: 1–3, 4–6, 7–10 und die gymnasiale Oberstufe 11–13 im Verbund mit der Elinor-Ostrom-Schule. Mitglieder dieser Teams sind vorrangig die Lehrkräfte. Sonder- und Sozialpädagog*innen ordnen sich zu. Die Stufenleitungen sind regelmäßig dabei und bringen Impulse in die Arbeit der Teams ein. Die Erzieher*innen bestimmen aus ihrer Mitte zwei Multiplikator*innen für die Teilnahme an den Teamsitzungen 1–3 und 4–6, sie berichten im Ganztagsteam über die Themen der Jahrgangsteams.
Die Jahrgangsteams arbeiten vorrangig an der Unterrichtsentwicklung mit selbstgewählten Zielen in Rücksprache mit der Schulleitung sowie an gesamtschulischen Unterrichtsentwicklungsthemen (z. B. Standardisierung der Lerninstrumente). In den Teams der Sek I und II liegt der Fokus stärker auf fachlichen Arbeitsgruppen. In allen Teams finden interne Mini-Fortbildungen statt. Das Jahrgangsteam trifft sich alle zwei Wochen gemeinsam. In der B-Woche kann an Arbeitsschwerpunkten in Kleingruppen gearbeitet werden.
Jedes Team wählt sich im 2-jährigen Rhythmus eine Teamleitung. Im Haus sind es je eine Lehrkraft und eine Erzieherin, im Jahrgangsteam eine Lehrkraft.
Kollegiumsrat – Herzstück des Systems
Hier treffen sich wöchentlich alle gewählten Teamleitungen mit allen Mitgliedern der Schulleitung, um sich gegenseitig zu informieren und zu beraten: zu den gemeinsamen Schulentwicklungsthemen, Themen aus den Teams und denen der Schulleitung. Hier schlägt der Puls der Schule. Themen werden auf den Tisch gepackt, Verantwortungen zur Lösungserarbeitung festgelegt und wieder zusammengeführt. Damit dies effizient passiert, trifft sich entweder der gesamte Kollegiumsrat oder in Hausleitungs- und Jahrgangsleitungsteam unterteilt.
Das Schulentwicklungsthema sowie das daraus resultierende Ziel wird zu Beginn des Schuljahres beschlossen. Dies kann vorab in den Teams erarbeitet, aber auch nachbesprochen werden. Im Anschluss schließe ich als Schulleiterin den Schulvertrag mit der Schulaufsicht ab, der das abbildet.
Manchmal müssen wir auf aktuelle Besonderheiten eingehen, Fäden wieder aufnehmen und neu priorisieren.
Die zeitlichen Kapazitäten für Teamsitzungen (je 60 min) innerhalb des rhythmisierten gebundenen Ganztages sind durch die Gestaltung eines gebundenen Freizeitangebotes durch überwiegend Externe und in der Mittelstufe durch das Mittagsband und das Prinzip des Raumwächters möglich. In der Oberstufe beginnt der Unterricht montags später.
Gelingensbedingungen sind die Bereitschaft des*r einzelnen Kolleg*in, sich einzubringen und teilzunehmen. Dies wird bereits beim Einstellungsgespräch thematisiert. Wird die Teamzeit nicht mehr als entlastende und bereichernde Zeit wahrgenommen, wird die Gestaltung des Teams überarbeitet. Das spiegelt unser Grundverständnis als lernendes System wider. Aktuell hat das Team 7–10 seine Arbeit evaluiert und die Teamstruktur neu erarbeitet.
Die strukturierte, Partizipation ermöglichende Teamarbeit soll dazu beitragen, dass sich Pädagog*innen unterstützt und wohl fühlen. Das ist die Voraussetzung für gute pädagogische Arbeit!
(1) Die Praxis der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule hat durch die Veröffentlichung von A. Sliwka und B. Klopscheine eindrucksvolle Bestätigung erfahren:
Anne Sliwka/ Britta Klopsch: Das lernende Schulsystem. Beltz. 2024.
Weitere Informationen:
https://wvh-gemeinschaftsschule.de/
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
Fritz-Karsen-Schule: Die Sache mit den Noten
Fritz-Karsen-Schule
Eigentlich gehört die notenfreie Beurteilung zum pädagogischen „Werkzeugkasten“ der Gemeinschaftsschule, insbesondere, wenn und weil jahrgangsübergreifend und inklusiv gearbeitet wird.
hier lesen
Die Sache mit den Noten
Fritz-Karsen-Schule
Robert Giese
Eigentlich gehört die notenfreie Beurteilung zum pädagogischen „Werkzeugkasten“ der Gemeinschaftsschule, insbesondere, wenn und weil jahrgangsübergreifend und inklusiv gearbeitet wird. In der FKS sind bis Jahrgang 6 auch Noten abgeschafft. In der Mittelstufe gibt es einige retardierende Momente, die der Einführung der Notenfreiheit entgegen stehen und (bisher) nicht ausgeräumt werden konnten.
Die Fritz-Karsen-Schule wurde 1948 als Einheitsschule gegründet – letzlich auf Initiative des alliierten Kontrollrates –, wurde dann „Schule besonderer pädagogischer Prägung“, schließlich Gesamtschule mit Grund- und Oberstufe und ist seit 2008 Gemeinschaftsschule. Mit dieser Geschichte ist sie die älteste Schule des gemeinsamen Lernens in Deutschland. „Der erste Leitsatz der Schule lautet: ‚Wir sind eine Schule für alle.‘ Darin steckt die wichtigste Vorgabe für die Schule. Die wichtigste Vorgabe sind die ihr anvertrauten Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – so, wie sie sind und nicht so, wie wir sie uns wünschen mögen. Die Schülerinnen und Schüler haben ein Recht darauf, als einzelne, unverwechselbare Individuen ernst genommen zu werden. Sie haben ein Recht darauf, dass die Schule für sie da ist und nicht umgekehrt.“ So steht es im Schulprogramm und das ist tatsächlich der Maßstab an dem sich Entwicklungsvorhaben messen lassen müssen.
In der Grundstufe
Seit 2006 arbeitet die Schule im gebundenen Ganztagsbetrieb und ab 2007 wurden kontinuierlich junge Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen aufgenommen. Im selben Jahr haben Kolleg*innen der Grundstufe nach langen Diskussionen, vielen Fortbildungen und gründlicher Vorbereitung begonnen, im jahrgangsübergreifenden Lernen (JüL) zu arbeiten. Gleichzeitig wurde bis zum Ende des dritten Schujahres vollständig auf Noten verzichtet. Grundüberlegungen dafür waren: In JüL-Lerngruppen ist die Heterogenität noch ein Stück größer als im hergebrachten jahrgangsbezogenen Unterricht, insbesondere wenn auch noch der Inklusions-Anspruch eingelöst werden soll. Es ist erforderlich, jedes Kind auf seinem individuellen Weg in seinem eigenen Tempo zu begleiten. Das schloss auch ein, Lernfortschritte durch individualisierte Lernerfolgskontrollen zu dokumentieren und zu überprüfen anstatt in genormte Klassenarbeiten allen Lernenden zum selben Zeitpunkt dieselben Aufgaben zu stellen. Verbale Beurteilungen sind hier wesentlich zielführender als Noten nach genormten Maßstäben.
Interne Evaluationen und die Überprüfung der Schule durch die Schulinspektion ergaben, dass die Lernerfolge und Leistungsstände überdurchschnittlich gut waren. Die Inspektoren kamen zu dem Urteil, dass die Arbeitsweise vorbildlich für die Berliner Schule sei. Die jährlichen VERA 3-Tests – ungeliebt, weil dem pädagogischen Konzept diametral entgegenstehend – bestätigten jedoch die Erfolge.
Es war nur konsequent den nächsten Schritt zu gehen. 2012 beschloss die Schulkonferenz auf Antrag der Grundstufenkonferenz das Lernen in den Jahrgängen vier bis sechs jahrgangsübergreifend zu gestalten und gleichzeitig auf Noten zu verzichten. Dem waren zum Teil heftige Diskussionen vorausgegangen. Es gab Ankündigungen in dem Sinn: „Wenn ihr das macht gehe ich, gehen wir.“
Unsere Argumentationen: Noten sind weder objektiv noch reliabel noch valide und häufig demotivierend.
- Bewerten mehrere Kolleg*innen dieselbe Arbeit, gibt es unterschiedliche Noten, von 1 – 5 ist dann alles dabei (fehlende Objektivität). Die Experimente dazu sind bereits vor über 100 Jahren gemacht worden.
- Bewertet eine Lehrkraft dieselbe Arbeit einige Wochen später noch einmal, ist die Chance groß, dass eine andere Note unter der Arbeit steht (fehlende Reliabilität).
- Schüler*innen mit Schwierigkeiten in der deutschen Sprache versagen regelmäßig in Mathetests. Sie erhalten eine schlechte Mathenote wegen ihrer Schwäche in der deutschen Sprache (fehlende Validität).
- Eine Schülerin hat eine Lese-Rechtschreib-Schwäche – in einem Diktat (als die noch geschrieben wurden) macht sie 100 Fehler auf 100 Wörter. Nach einem Jahr intensiven Trainings macht sie nur noch 80 Fehler. Welche Note wird sie erhalten? Kaum motivierend.
Ein Schüler lernt sehr schnell und erhält regelmäßig Zusatzaufgaben. „Was wollen Sie denn immer von mir? Ich hab doch schon eine Eins.“
Wir waren überzeugend. Tatsächlich verließen uns lediglich eine Kollegin und zwei Familien.
In der Folge wurden Lernwege in den verschiedenen Fächern Mathematik, Deutsch, Gesellschaftswissenschaften und Naturwissenschaften entwickelt und schrittweise eingeführt. Jedes Kind lernt individualisiert. Lernen im Gleichschritt gehört der Vergangenheit an und die Zeugnisse sowie die Lernentwicklungsgespräche orientieren sich immer an der individuellen Bezugsnorm und sie werden verbal formuliert. Das hilft den Kindern und Eltern zu verstehen.
und in der Mittelstufe?
Ab Jahrgang sieben wird noch immer mittels Noten bewertet. Es gab Überlegungen, Lernhäuser einzurichten in denen die Jahrgänge 7–10 zu einem Team gehören sollten mit der Option, versuchsweise auf Noten zu verzichten und jahrgangsübergreifend zu arbeiten. Aufgrund von Corona brachen die Diskussionen ab. Anderes stand im Vordergrund. Wie so häufig, wurde der Wichtigkeit des Dringlichen die Dringlichkeit des Wichtigen geopfert.
Es wird weiter mit Noten gearbeitet obwohl viele Kolleg*innen die pädagogische Fragwürdigkeit sehen. Außerdem geben Noten Anlass, immer wieder die leidige Frage nach den Differenzierungs-Niveaus zu stellen – „Ist das nun eine G3 oder E4?“. Es gibt drei wesentliche Gründe, warum das bisher nicht geändert wurde:
- Der erste und wichtigste ist die auch von Gewerkschaften immer wieder kritisierte Arbeitsüberlastung. Verbale Bewertungen sind zwar aussagekräftiger und dauern aber einfach länger. Möglichkeiten der zeitlichen Entlastung gibt es kaum.
- Der zweite besteht darin, dass ca. die Hälfte der Schüler*innen aus anderen Grundschulen kommt. Diese sind meist seit Jahren an Noten gewöhnt. Hier macht sich die aus früheren Zeiten noch „mitgeschleppte“ unterschiedliche Zügigkeit in Grund- und Mittelstufe negativ bemerkbar. Die Schule will das ändern, der Bezirk sieht das (bisher) anders.
- Der dritte besteht darin, dass andere Aufgaben im Vordergrund stehen. In jeder Klasse lernen 3 bis 5 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, für die individuelle Förderpläne gemeinsam mit den Eltern, Kindern, Klassenlehrer*innen sowie Sonderpädagog*innen erstellt und erfüllt werden. Das ist je nach individuellen Bedürfnissen sehr verschieden aufwendig.
Als nächste Schritte sind derzeit Entwicklungen geplant, um die Arbeitsweise aus JüL 4–6 fortzusetzen, die Schüler*innen stärker in die Verantwortung zu nehmen und Lernwege zu erarbeiten, die es den Schüler*innen ermöglichen wesentlich selbständiger zu arbeiten.
Und sicher wird dann die Diskussion um die Noten neu aufgenommen ...
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
Überblick
Gemeinschaftsschulen in Berlin
Der folgende Beitrag in unserer Zeitschrift Die Schule für alle Heft 2025/3 gibt einen Überblick über Berliner Gemeinschaftsschulen. Aufgeführt sind die derzeit 26 staatlichen Gemeinschaftsschulen (Kennbuchstabe „K“ in der Schulnummer) sowie die beiden Privatschulen (Kennbuchstabe „P“), die im Netzwerk der Berliner Gemeinschaftsschulen mitarbeiten. Darüber hinaus gibt es weitere 17 Gemeinschaftsschulen in privater Trägerschaft.
Der ganze Überblick kann heruntergeladen werden.
Weitere Informationen:
https://www.bildung.berlin.de/schulverzeichnis/
Abkürzungen:
GemS: Gemeinschaftsschule, G: Grundschule, ISS: integrierte Sekundarschule, Ges: Gesamtschule, H: Hauptschule, R: Realschule, FöZ: Förderzentrum, OSZ Oberstufenzentrum, Gst: Grundstufe, Ost: Oberstufe
01 – Mitte
Evangelische Schule Berlin Mitte/Zentrum
Mitte (Mitte) – 01P01, 01P23
GemS seit 2008, vorher G bzw. Ges m. Ost
Jahrgänge 1–6 (ESBM), 7–13 (ESBZ)
offener/gebundener Ganztag
web: www.esbm.de, www.ev-schule-zentrum.de
Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule
Moabit (Mitte) – 01K04
GemS seit 2008, vorher int. H/R
Jahrgänge 1–13
gebundener Ganztag
web: https://hvs-schule-berlin.de
Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule
Moabit (Mitte) – 01K10
GemS seit 2008, vorher G/Ges/Ost
Jahrgänge 1–13
gebundener Ganztag
web: https://thgberlin.de
02 – Friedrichshain-Kreuzberg
Bergmannkiez-Gemeinschaftsschule
Kreuzberg (Friedrichshain-Kreuzberg) – 02K04
GemS seit 2009, vorher G/Ges
Jahrgänge 1–10, 11–13 Verbund mit der Ferdinand-Freiligrath-Schule
gebundener Ganztag
web: https://bergmannkiez-gemeinschaftsschule.de
Carl-von-Ossietzky-Gemeinschaftsschule
Kreuzberg (Friedrichshain-Kreuzberg) – 02K02
Gems seit 2012, vorher Ges m. Ost
Jahrgänge 1–13
gebundener Ganztag
web: https://cvo-berlin.de
Emanuel-Lasker-Schule
Friedrichshain (Friedrichshain-Kreuzberg) – 02K06
Gems seit 2020, vorher G/ISS
Jahrgänge 1–13
teilgebundener Ganztag
web: https://els-schule.de
03 – Pankow
Tesla-Schule
Prenzlauer Berg (Pankow) – 03K07
GemS seit 2010, vorher R
Jahrgänge 1–10, 11–13 Kooperation mit mehreren Schulen
gebundener Ganztag
web: https://www.tesla-schule.de
Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule
Prenzlauer Berg (Pankow) – 03K11
GemS seit 2008, Neugründung
Jahrgänge 1–10, 11-13 Verbund mit der Elinor-Ostrom-Schule
gebundener Ganztag
web: https://wvh-gemeinschaftsschule.de
04 – Charlottenburg-Wilmersdorf
Freudberg-Gemeinschaftsschule
Wilmersdor (Charlottenburg-Wilmersdorf) – 04P41
GemS seit 2016, Neugründung
Jahrgänge 1–10, 11–13 Kooperation mit der Montessori Stiftung Berlin
offener Ganztag
web: https://www.freudbergschule.org
Paula-Fürst-Schule
Charlottenburg (Charlottenburg-Wilmersdorf) – 04K05
GemS seit 2009, vorher G/R
Jahrgänge 1–13
gebundener Ganztag
web: https://paula-fuerst-gemeinschaftsschule.de
05 – Spandau
B.-Traven-Gemeinschaftsschule
Falkenhagener Feld (Spandau) – 05K05
GemS seit 2008, vorher Ges
Jahrgänge 1–10, 11–13 Verbund mit der Wolfgang-Borchert-Schule
offener Ganztag
web:https://btg-schule.de
06 – Steglitz-Zehlendorf
Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule
Nikolassee, Lichterfelde (Steglitz-Zehlendorf) – 06K11
GemS seit 2010, vorher G/H
Jahrgänge 1–13
teilgebundener Ganztag
web: https://aegs.de
07 – Tempelhof-Schöneberg
Friedenauer Gemeinschaftsschule
Schöneberg (Tempelhof-Schöneberg) – 07K12
GemS seit 2012, vorher G/G/ISS(H/R)
Jahrgänge 1–13
offener/teilgebundener Ganztag
web: https://friedenauer-gemeinschaftsschule.de
08 – Neukölln
Fritz-Karsen-Schule
Britz (Neukölln) – 08K06
GemS seit 2008, vorher Ges mit Gst/Ost (gegr. 1948 als Einheitsschule)
Jahrgänge 1–13
gebundener Ganztag
web: https://fritz-karsen.de
Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli
Neukölln (Neukölln) – 08K08
GemS seit 2008, vorher G/H/R
Jahrgänge 1–13
gebundener Ganztag
web: https://campusruetli.de
Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg
Gropiusstadt (Neukölln) – 08K13
GemS seit 2015, vorher G/ISS
Jahrgänge 1–10, 11–13 Kooperation mit dem OSZ Lise Meitner
teilgebundener Ganztag
web: https://www.campus-efeuweg.de
Walter-Gropius-Schule
Gropiusstadt (Neukölln) – 08K01
GemS seit 2010, vorher Ges m. Gst u. Ost (seit 1968)
Jahrgänge 1–13
gebundener Ganztag
web: https://walter-gropius-schule-berlin.de
09 – Treptow-Köpenick
Anna-Seghers-Schule
Adlershof (Treptow-Köpenick) – 09K02
GemS seit 2008, vorher Ges m. Ost
Jahrgänge 1–13
teilgebundener Ganztag
web: https://anna-seghers-os.de
Gemeinschaftsschule Adlershof
Adlershof (Treptow-Köpenick) – 09K10
GemS seit 2025, Neugründung
Jahrgänge (im Aufbau)
gebundener Ganztag
web: https://gemeinschaftsschule-adlershof.de
Grünauer Gemeinschaftsschule
Grünau (Treptow-Köpenick) – 09K09
GemS seit 2009, vorher G
Jahrgänge 1–10, 11–13 Verbund mit der Schule an der Dahme
gebundener Ganztag
web: https://gruenauer-schule.de
Sophie-Brahe-Gemeinschaftsschule
Plänterwald (Treptow-Köpenick) – 09K07
GemS seit 2008, vorher G/R
Jahrgänge 1–10, 11–13 Verbund mit der Röntgen-Schule
gebundener Ganztag
web: https://sophie-brahe-schule.de
10 – Marzahn-Hellersdorf
Gemeinschaftsschule Mahlsdorf
Mahlsdorf (Marzahn-Hellersdorf) – 10K14
GemS seit 2024, Neugründung
Jahrgänge (im Aufbau)
offener Ganztag
Mail:
Gretel-Bergmann-Gemeinschaftsschule
Marzahn (Marzahn-Hellersdorf) – 10K12
GemS seit 2009, vorher G/Ges
Jahrgänge 1–10, 11–13 Kooperation mit der Rudolf-Virchow-Schule
offener Ganztag
web: https://gretel-bergmann-gems.de
Marcana-Schule
Marzahn (Marzahn-Hellersdorf) – 10K11
GemS seit 2015, Neugründung
Jahrgänge 1–10, 11–13 Kooperation mit der Rudolf-Virchow-Schule
offener Ganztag
web: https://marcana-schule.de
Wolfgang-Amadeus-Mozart-Schule
Hellersdorf (Marzahn-Hellersdorf) – 10K10
GemS seit 2008, vorher G
Jahrgänge 1–10, 11–13 Kooperation u. a. mit der Gutenberg-Schule
offener Ganztag
web: https://www.mozart-schule.berlin
11 – Lichtenberg
Grüner Campus Malchow
Malchow (Lichtenberg) – 11K10
GemS seit 2011, Neugründung
Jahrgänge 1–13
teilgebundener Ganztag
web: https://www.gruener-campus-malchow.de
Paul-und-Charlotte-Kniese-Schule
Friedrichsfelde (Lichtenberg) – 11K12
GemS seit 2015, Koop. mit FöZ (GE), vorher G/FöZ (Sehen)
Jahrgänge 1–10, 11–13 Verbund mit der Schule am Tierpark
gebundener Ganztag
web: https://www.kniese-schule-berlin.de
12 – Reinickendorf
Campus Hannah Höch
Märkisches Viertel (Reinickendorf) – 12K12
GemS seit 2014, vorher G/ISS
Jahrgänge 1–10, 11–13 Kooperation mit drei OSZ
gebundener Ganztag
web: https://campus-hannah-hoech.de
Rückblick – Ausblick
In der Rubrik "Rückblick – Ausblick" in unserer Zeitschrift Die Schule für alle Heft 2025/3 finden Sie Beiträge über der Entwicklung der Berliner Gemeinschaftsschule:
- Die Anfänge,
- die Zeit 2008 bis 2025 und
- ein Blick in die Zukunft.
Berichte aus der bildungspolitischen Verbandsarbeit
Die ganze Rubrik GGG Rückblick – Ausblick mit allen Artikeln steht Ihnen zum Herunterladen zur Verfügung.
L. Sack: Die Anfänge
Start der Pilotphase Gemeinschaftsschule
Die aus den Abgeordnetenhauswahlen im September 2006 hervorgegangene rot-rote Koalition hat sie ermöglicht: die Gemeinschaftsschule. Die Pilotphase Gemeinschaftsschule sollte erproben, wie (weniger ob) integrative und nicht-aussondernde Schulen entwickelt werden können – mit grundsätzlich heterogenen Lerngruppen, also ohne äußere Leistungsdifferenzierung und unter Einbeziehung der Grundstufe, also Jahrgänge 1–10/13.
hier lesen
Die Anfänge
Start der Pilotphase Gemeinschaftsschule
Lothar Sack
Die aus den Abgeordnetenhauswahlen im September 2006 hervorgegangene rot-rote Koalition hat sie ermöglicht: die Gemeinschaftsschule. Die Pilotphase Gemeinschaftsschule sollte erproben, wie (weniger ob) integrative und nicht-aussondernde Schulen entwickelt werden können – mit grundsätzlich heterogenen Lerngruppen, also ohne äußere Leistungsdifferenzierung und unter Einbeziehung der Grundstufe, also Jahrgänge 1–10/13. Hierzu war eine pädagogisch-inhaltliche Weiterentwicklung ebenso erforderlich wie eine organisatorische. Neben Neugründungen wurde die Weiterentwicklung bestehender Schulen ins Auge gefasst: Aufwachsen einer Grundschule, Erweiterung um eine Grund- oder Oberstufe, Fusion bestehender Schulen verschiedener Schularten. Angesprochen waren alle Schulen. Ein Programmpunkt war auch die Auswertung der Erfahrungen für die Übertragung „in die Fläche“.
Inhaltliche Vorarbeiten gab es einige. Hier sei nur auf zwei hingewiesen: die gemeinsame Grundsatzerklärung „Länger miteinander und voneinander lernen“ (1) von GGG und Grundschulverband aus dem Jahr 2001, die maßgeblich auf Aktivitäten der Berliner Landesverbände zurück ging und der sich in der Initiative „Länger gemeinsam lernen“ etliche Bildungsorganisationen angeschlossen hatten, sowie das Arbeitspapier „Berlin wird skandinavisch schlau – Wege zu einem integrativen Schulsystem in Berlin“ (2) , das von der Linksfraktion des Abgeordnetenhauses im Januar 2006 veröffentlicht wurde. Die Bemühungen um die Gemeinschaftsschule wurden durchaus auch verstanden als eine mittel- bis langfristig angelegte Antwort auf Probleme, wie sie im „Brandbrief“ der Rütli-Schule (3) vom Februar 2006 drastisch thematisiert worden sind. Diese Schule ist dann auch erfolgreich in eine der ersten Gemeinschaftsschulen „aufgegangen“. (4)
Koalitionsvereinbarung 2006
Im Koalitionsvertrag (5) hieß es unter der Überschrift „Zergliederung des Schulsystems zurückfahren – Einstieg in die Gemeinschaftsschule“: „Kinder sollen länger gemeinsam lernen. Wir wollen die soziale Auslese in unserem Bildungssystem und die Abhängigkeit des Bildungserfolges vom sozialen Hintergrund der Kinder überwinden. … [Wir] wollen ... ein Konzept für eine Gemeinschaftsschule bis zur Klasse 10 bzw. bis zum Abitur entwickeln. Deshalb beginnen wir mit einer ‚Pilotphase‘ den schrittweisen Einstieg in eine Gemeinschaftsschule, die sich am skandinavischen Prinzip der ungeteilten Schule orientiert. Gemeinschaftsschulen sind Schulen, in denen alle Schüler und Schülerinnen mindestens bis zum Ende der 10. Klasse gemeinsam lernen und möglichst viele von ihnen gemeinsam das Abitur ablegen.“
In der Pilotphase sollten verschiedene Wege erprobt werden, wie sich Gemeinschaftsschulen meist aus existierenden Schulen verschiedener Schularten entwickeln lassen. Erfahrungen sollten für eine Übertragung in die Fläche gesammelt werden. Dabei stand – der Name „Pilotphase“ sagt es – weniger das „Ob“, eher das „Wie“ im Vordergrund. Die Pilotphase sollte mit einer öffentlichen Debatte begleitet werden und für das Ende der Wahlperiode war eine politische Entscheidung über die weitere Ausgestaltung vorgesehen.
Über die Einrichtung der Pilotphase hinaus war beabsichtigt, integrative Elemente auch im übrigen Schulsystem zu stärken.
Weitere Regelungen für die Pilotphase wurden vereinbart:
- Einrichtung einer Steuerungsgruppe zur Koordinierung
- Änderung des Schulgesetzes zur Schaffung von verlässlichen Rahmenbedingungen für die teilnehmenden Schulen
- Voraussetzungen für die Bewerbung interessierter Schulen: Beschluss der Schulkonferenz, Vorlage eines Entwicklungskonzeptes und die Zustimmung der Schulträgers. Für jeden Bezirk wird (mindestens) eine Gemeinschaftsschule angestrebt.
- Die Ausstattung der Gemeinschaftsschulen orientiert sich an existierenden Gesamtschulen mit den Klassenstufen 1–12/13 und gebundenem Ganztagsbetrieb.
- Darüber hinaus sollten die Gemeinschaftsschulen eine zusätzlich personelle und finanzielle Ausstattung als Unterstützung für die Umgestaltung zur Gemeinschaftsschule erhalten.
- Für die Pilotphase wurde ein wissenschaftliche Begleitung vorgesehen.
- Für 2008 bis 2011 gibt es einen Förderfond von 22 Mill. €.
Weitere Schritte
Die Steuerungsgruppe (5 hochrangige Mitarbeiter der Senatsverwaltung) wurde eingerichtet, ebenso ein Beirat (22 Mitglieder, darunter Roesner; Domisch, Heyer, Prenzel, Preuss-Lausitz, Riegel, Süssmuth).
Die Tätigkeit der Projektgruppe (3 Schulleitungsvertreter, 7 Mitarbeiter der Senatsverwaltung, 2 Bezirksvertreter) beinhaltete folgende Aufgaben:
- Erarbeitung der inhaltlichen Grundlagen (6) : Hierfür war es besonders wichtig, dass Erfahrungen von Schulen, die bereits erfolgreich nach ähnlichen Prinzipien arbeiteten, Berücksichtigung fanden. Hier sind besonders zu nennen Preisträgerschulen des Deutschen Schulpreises und Berliner Schulen (insbesondere die Heinrich-von-Stephan-Schule und die Fritz-Karsen-Schule, die mit ihren (ehem.) Schulleitern in der Projektgruppe direkt vertreten waren).
- Konzipierung eines Fortbildungs-/Qualifizierungskonzeptes für die Unterstützung der Schulentwicklung der teilnehmenden Schulen. Ein fünfköpfiges Qualifizierungsteam wurde zusammengestellt, das seine Arbeit Anfang 2008 aufnahm.
- Vorbereitung und Begleitung des Vorbereitungs- und Bewerbungsprozesses interessierter Schulen.
- Entwicklung und Formulierung von Anforderungen an die beabsichtigte wissenschaftliche Begleitung. Die wissenschaftliche Begleitung wurde in einem Ausschreibungsverfahren schließlich einem Team der Uni Hamburg und der Rambøll Management GmbH unter der Leitung von Prof. Johannes Bastian übertragen.
Die Unterstützung der beteiligten Schulen wurde konkretisiert: eine halbe Lehrerstelle und bis zu 7.000 € für Fortbildung pro Schule sowie die Angebote des Qualifizierungsteams und für einige Schulen auch bauliche Veränderungen.
Ende 2006 gründete sich der „Runde Tisch Gemeinschaftsschule Berlin“ (7), eine zivilgesellschaftliche Initiative für alle an der Diskussion und Entwicklung der Gemeinschaftsschule Interessierten. Hier fand in den nächsten Jahren ein reger Gedankenaustausch statt zwischen Schulleitungen und Lehrpersonen an den (künftigen) Gemeinschaftsschulen, Vertretern von Grundschulverband, der GGG und der GEW, Vertretern der Elternschaft, Mitarbeitern der Senatsverwaltung sowie Vertretern der Koalitionsparteien und einfach nur Interessierten.
Rechtliche Grundlagen
Die Schulgesetz-Novellierung vom Januar 2008 verankerte die Pilotphase Gemeinschaftsschule als Schulversuch mit einer Bestandszusicherung. Alle allgemeinbildenden Schulen können Gemeinschaftsschule werden, keine Schulart ist ausgeschlossen, Neugründungen sind möglich.
Die Gemeinschaftsschule wurde definiert als integrierte Schule für alle Schüler mit den Klassenstufen 1 bis 10/13, die alle Bildungsgänge und Abschlüsse umfasst. Weitere obligatorische Kennzeichen: Inklusion (auch und gerade von Schülern mit Beeinträchtigungen), Ganztag, keine Bildungsgangempfehlung am Ende der Grundstufe, damit verbunden keine Probezeit zu Beginn der Sekundarstufe, kein Abschulen, kein Sitzenbleiben, grundsätzlich heterogene Lerngruppen (ohne äußere Fachleistungsdifferenzierung als Organisationsprinzip).
Weitere „öffnende“ Regelungen wurden den Schulen angeboten: Wahl der Individualisierungs- und Differenzierungsformen, keine Beurteilung mit Ziffernnoten bis Anfang Jahrgang 9, Jahrgangsmischung, Freiräume in der Stundentafel und bei der Schaffung von Lernbereichen (Zusammenlegung von Einzelfächern). Für das Praktizieren dieser Elemente reichte jeweils ein Schulkonferenzbeschluss.
Im Rahmen der beabsichtigten Stärkung der integrativen Praxis im Schulsystem erhielten alle Schulen, auch die, die nicht in der Pilotphase mitarbeiteten, das Angebot, jeden erwähnten Baustein zu übernehmen. Davon haben – außer etlichen Gemeinschaftsschulen – in der Folgezeit kaum Schulen der Sekundarstufe I Gebrauch gemacht.
Die ersten Gemeinschaftsschulen
Die ersten Gemeinschaftsschulen sollten mit dem Schuljahr 2008/09 starten.
Das Bewerbungsverfahren der Schulen begann im Mai/Juni 2007 mit einer Interessenbekundung (8): Immerhin zeigten sich 57 Schulen an der Pilotphase Gemeinschaftsschule interessiert – 42 öffentliche Schulen: 18 Grundschulen, 10 Gesamtschulen, 10 Realschulen, 4 Hauptschulen; 15 private Schulen. Einige zunächst „neugierige“ Gymnasien sprangen wieder ab.
Die anschließende Bewerbung mit Entwicklungskonzept, Schulkonferenzbeschluss und Zustimmung des Schulträgers erfolgte bis September 2007. Die Bewerbung einiger Interessenten scheiterte an der Verweigerung der Zustimmung des Schulträgers. Der Bezirk Reinickendorf – CDU-dominiert – war hier besonders „hartnäckig“. Ende November 2007 gingen aus der Bewerbung 11 Standorte (9) hervor, an denen Gemeinschaftsschulen mit Beginn des Schuljahres 2008/09 starteten. Davon sind heute noch 10 Schulen dabei:
- Neugründung: Wilhelm-von-Humboldt-Schule
- Schulerweiterungen:
- Wolfgang-Amadeus-Mozart-Schule, entstanden aus einer Grundschule
- Heinrich-von-Stephan-Schule, entstanden aus einer kombinierten Haupt- und Realschule
- Anna-Seghers-Schule, entstanden aus eine Gesamtschule (7–13)
- B.-Traven-Schule, entstanden aus einer Gesamtschule (7–10)
- Schulfusionen:
- Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli, entstanden aus einer Grundschule, einer Haupt- und einer Realschule
- Sophie-Brahe-Schule, entstanden aus einer Grundschule und einer Realschule
- die Theodor-Heuss-Schule, entstanden aus einer Grundschule, einer Gesamtschule (7–10) und (später) einer selbstständigen gymnasialen Oberstufen-Schule
- Umwandlungen:
- Fritz-Karsen-Schule, vorher bereits Gesamtschule mit Grund- und Oberstufe
- Ev. Schule Berlin Mitte/Zentrum: Grundstufenteil ESBM, Sekundarstufenteil ESBZ
Der gesamte Interessenbekundungs- und Auswahlprozess sowie der Start der Schulen am 1. August 2008 fand ein reges mediales Echo.
In den Folgejahren kamen einige weitere Gemeinschaftsschulen hinzu. Die wissenschaftliche Begleitung erbrachte fast sensationell zu nennende, die Erwartungen weit übertreffende Ergebnisse, die jedenfalls deutlich zeigen, dass eine Schule für alle einen signifikanten Beitrag zur Herstellung von mehr Chancengleichheit leisten kann und das ohne Leistungseinbußen. Trotzdem existieren bis heute nur 26 staatliche und einige private Gemeinschaftsschulen. Leider gibt es starke gesellschaftliche Kräfte, die solche Ergebnisse ignorieren und auf einem Schulsystem beharren, das selektiert und segregiert und damit letzten Endes einen Beitrag zum Auseinanderdriften der Gesellschaft leistet. Eingang in die politischen Entscheidungen für die Gestaltung des Schulsystems haben die Ergebnisse der Gemeinschaftsschulen bisher jedenfalls nur rudimentär gefunden. Der gesellschaftliche Diskurs, wie ursprünglich konzipiert, hat bis heute nicht stattgefunden und ist nach wie vor noch einzufordern.
Quellen
(1) Gemeinsame Grundsatzerklärung von GSV und GGG (2001):
https://ggg-web.de/index.php/service/ggg-downloads/category/4?download=24
(2) Linksfraktion im Abgeordnetenhaus: Berlin wird skandinavisch schlau (2006):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=2837
(3) Rütli-Schule: Schulsituation, 28.2.2006
https://web.archive.org/web/20070927045406/http://www.ruetli-oberschule.de/downloads/iie3.1schulsituation.pdf
(4) L. Sack, C. Heckmann: Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli Berlin https://ggg-web.de/publikationen/ggg-zeitschrift/2074#l-sack-c-heckmann-gemeinschaftsschule-auf-dem-campus-ruetli-berlin
(5) Koalitionsvertrag Berlin 2006 (Auszug zum Thema Schule):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=1190
(6) Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung: Grundlagen für die Pilotphase Gemeinschaftsschule (Mai 2007):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=956
(7) Runder Tisch Gemeinschaftsschule Berlin
Aufruf für eine gemeinsame Schule für alle! (Dez. 2006):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/106?download=1272
Gemeinschaftsschule Berlin – Ziele, Grundsätze und Regelungen
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/106?download=958
L. Sack: Gemeinschaftsschule in Berlin, Rede auf der FES-Fachtagung Juni 2007:
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=968
Was der Runde Tisch will! https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/106?download=960
(8) Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung: Pressemitteilung 43 öffentliche Schulen wollen Gemeinschaftsschule werden (Die PM enthält eine kleine Unstimmigkeit.):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=2857
(9) Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung: Pressemitteilung über die 11 ersten ausgewählten Gemeinschaftsschulen
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=2838
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
Robert Giese, L. Sack: Höhen und Tiefen
Berliner Gemeinschaftsschulen 2008–2025
2008 gingen 11 Schulen an den Start der Pilotphase Gemeinschaftsschule. Heute gibt es in Berlin 26 öffentliche Gemeinschaftsschulen und etliche private. Der Weg dahin war keineswegs immer einfach. Gab es zu Anfang erfreuliche Unterstützung, erfuhren die Schulen in der Folge doch manchen Widerstand, wo eigentlich Support insbesondere aus der Politik und der Verwaltung nötig und hilfreich gewesen wäre. Dann gäbe es heute deutlich mehr dieser Schulen.
hier lesen
Höhen und Tiefen
Berliner Gemeinschaftsschulen 2008–2025
Robert Giese, Lothar Sack
2008 gingen 11 Schulen an den Start der Pilotphase Gemeinschaftsschule. Heute gibt es in Berlin 26 öffentliche Gemeinschaftsschulen und etliche private. Der Weg dahin war keineswegs immer einfach. Gab es zu Anfang erfreuliche Unterstützung, erfuhren die Schulen in der Folge doch manchen Widerstand, wo eigentlich Support insbesondere aus der Politik und der Verwaltung nötig und hilfreich gewesen wäre. Dann gäbe es heute deutlich mehr dieser Schulen.
Jede der Pilotschulen hatte ca. ein Jahr Gelegenheit, sich auf den Start vorzubereiten. Mit zwei Drittel Mehrheit der Schulkonferenz hatte sie beschlossen, mindestens die Jahrgänge 1–10 zu umfassen und das Lernen ohne äußere Leistungsdifferenzierung zu realisieren. Das aus Projektmitteln finanzierte Qualifizierungsteam stand jeder einzelnen Schule für Beratung und Moderation zur Verfügung und organisierte gemeinsame Seminare an attraktiven Orten – Jagdschloss Hubertusstock, Botanischer Garten. Aus jeder Schule nahmen ca. fünf Kollegen teil. Sie präsentierten gegenseitig ihre Entwicklungsvorhaben, Erfolge, aber auch Misserfolge. Die Veranstaltungen wurden als außerordentlich produktiv erlebt und selten haben Lehrende ein so hohes Maß an Wertschätzung von Seiten der Politik erfahren. Jeder Schule standen außerdem bis zu 7.000 € für Fortbildungen zur Verfügung. Jede Schule erhielt eine zusätzliche halbe Lehrerstelle für die Zeit der Pilotphase. Es herrschte ein sehr hoffnungsvolle Stimmung.
Der zweite wesentliche Erfolgsfaktor war die wissenschaftliche Begleitung. Beauftragt wurde ein Team unter der Leitung von Johannes Bastian von der Universität Hamburg. Untersucht werden sollte in einer Längsschnittstudie, wie sich Schülerleistungen entwickeln. Die Ausgangssituation der Schüler im Jahrgang 7 wurde getestet, Sie wurden bis zum Jahrgang 10 begleitet. Zum Vergleich wurden Daten der Hamburger Längsschnitt-Untersuchungen herangezogen, die gute Vergleichsmöglichkeiten boten. Parallel wurden Lehrpersonal, Schüler und Eltern mehrfach befragt.
Das Untersuchungsteam hat in eindrucksvoller Weise und die Erwartungen übertreffend herausgefunden, was Gemeinschaftsschulen leisten können: hoher Lernzuwachs unabhängig vom Sozialstatus des Elternhauses und besser als die Hamburger Vergleichsschulen, gute Leistungen im kognitiven Bereich, keine Behinderung der Entwicklung schnell lernender Schüler, Einbeziehung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, was sowohl bei ihnen als auch bei den „normalen“ Schülern zu besseren Lernergebnissen geführt hat. (1, 2, 3, 4)
Die Schulen erlebten die wissenschaftliche Begleitung als äußerst kooperativ, deren Rückmeldungen auch dann als hilfreich, wenn sie kritisch waren. So wurde die wissenschaftliche Begleitung ein Instrument ihrer Schulentwicklung: Sie zogen aus den Ergebnissen Konsequenzen für ihre pädagogischen Maßnahmen … und erzielten in der Folge (noch) bessere Ergebnisse.
Die Zustimmung war in den Kollegien, bei Eltern und Schülern außergewöhnlich hoch. Offensichtlich war das Ziel der einen Schule für alle verinnerlicht worden. Einige Politiker erkannten die Stärke der Gemeinschaftsschulen; der damalige Staatssekretär sprach davon, dass die Gemeinschaftsschulen die Schulen der Zukunft seien. Die Ergebnisse fanden ein reges mediales Echo. Es gab Grund zum Feiern und für weiteren Optimismus. (5)
In der Folge begründete das Abgeordnetenhaus eine Schulgesetzänderung 2009 unter anderem so (6):
„… Es bedarf eines nicht auslesenden Schulsystems und einer neuen Lern- und Lehrkultur, so wie es dem Selbstverständnis der Gemeinschaftsschule entspricht.
Die bevorstehende Weiterentwicklung der Schulstruktur durch die Errichtung einer integrativen Schulform in der Sekundarstufe, die alle bisherigen Bildungsgänge einschließt und zu allen Abschlüssen, einschließlich Abitur, führt, ist ein wichtiger Zwischenschritt in Richtung eines ungegliederten, nicht auslesenden Schulsystems.“
Der Bruch
Wer nun erwartet hatte, dass diese Erkenntnisse zu vielen neuen Gemeinschaftsschulgründungen führte, muss enttäuscht werden. Heute, 18 Jahre nach Start der Gemeinschaftsschulen, gibt es nicht mehr als 26 öffentliche Gemeinschaftsschulen – und etliche private. Mit dieser Geschwindigkeit würde es noch ca. 150 Jahre bis zu einem „ungegliederten, nicht auslesenden Schulsystem“ dauern. Der Beschluss galt auch gar nicht der Einführung der Gemeinschaftsschule, sondern das war die Begründung für die Einführung einer neuen Regel-Schulart, der „Integrierten Sekundarschule“ (ISS). In diese neue Schulart sollten alle Haupt-, Real- und Gesamtschulen zum großen Teil mit Fusionen aufgehen. (7)
Die ISS erhielt einige der Kennzeichen der Gemeinschaftsschule bzw. der bisherigen Gesamtschule: Vergabe aller Schulabschlüsse, Ganztag, kein Sitzenbleiben, Möglichkeit, auf LDU zu verzichten, … . Von offizieller Seite wurde die Gemeinschaftsschule nun als eine Unterart der ISS angesehen und galt trotz sechs Jahren Primarstufe und nur vier Jahren Sek I als Sekundarschule. In ihrem Status als Schulversuch blieb sie aber bestehen.
Krass im Widerspruch zur zitierten Begründung seht auch die heute noch geltende Standardregelung für die Schüler-Aufnahme in Klasse 7: Sofern die Schule nicht anderes beschließt, gelten die Grundschulnoten. Das hat in einigen Fällen dazu geführt, dass mit Grundschulnoten von unter 2,0 schon keine Aufnahme mehr erfolgt, härtere Zugangsbedingungen als an vielen Gymnasien. Schule für alle ist das nicht.
Die Pilotphase Gemeinschaftsschule verlor ihre „Pilot-Funktion“; das Schulsystem wurde bereits umgewandelt, bevor die Pilotphase belastbare Ergebnisse liefern konnte. Waren für die Pilotphase alle Schularten – auch Gymnasien – angesprochen, verstanden sie doch schnell, dass sie bei der Etablierung der ISS nicht betroffen waren, das sei der Elternwille. Von diesem Moment an gab es keine Interessenbekundung für die Gemeinschaftsschule mehr seitens eines Gymnasiums. Es war nun vor Reformen und Veränderungszumutungen weitgehend geschützt. Immerhin mussten auch die Gymnasien bei Übernachfrage eine Quote von Schülern nach dem Losverfahren aufnehmen, alle Schüler ab dem 8. Schuljahr bis zum Ende der Sek I behalten und folgerichtig nun regulär auch alle Abschlüsse der Sek I vergeben. Außerdem wurde für Gymnasien die Schulbesuchsdauer bis zum Abitur auf 12 Schuljahre abgesenkt.
Stagnation
Welche Deals im Hintergrund zwischen den Koalitionspartnern zu diesen Entscheidungen geführt haben, ist bis heute nicht klar. Jedenfalls wurde damit in Berlin, bereits 2008 vorbereitet (8, 9), das Zweisäulen-Modell eingeführt (16). Die gemeinsame Schule für alle rückte damit in eine nebulöse Zukunft. DGB(10), GEW (18) Grundschulverband (11), AK-Gem (Arbeitskreis Gemeinsame Erziehung) (12), des Runden Tisches Gemeinschaftsschule (13, 19), der GGG (14), sogar eine Gruppen von Politikern der SPD und der Linken (14,15) ,wandten sich z. T. schon früh gegen diese Entscheidung, drangen aber nicht durch. Gemeinschaftsschulen spielten so schon kurz nach dem Start der Pilotphase in der Politik nur noch eine untergeordnete Rolle und erfuhren statt der bisherigen Unterstützung mitunter harten Widerstand auf Landesebene und in etlichen Bezirken. Die damit vollzogene Abkehr großer Teile der Bildungspolitik und der Verwaltung von der Gemeinschaftsschule ist nach wie vor für alle, die sich etwas auskennen, unverständlich – zumal nachgewiesen wurde, dass die Gemeinschaftsschule die in sie gesetzten Hoffnungen in erstaunlichem Maße einlösen konnte. Eine Chance wurde leichtfertig vergeben (20), die Folgen sind bis heute zu spüren. Immerhin lief die Pilotphase weiter, wie geplant.
Einige Beispiele für den Widerstand, den die Gemeinschaftsschulen erfuhren:
- Zwar wurde nach 2006 in allen Koalitionsvereinbarungen – 2011, 2016, 2021, 2023 – die Beibehaltung (21), Stärkung und der weitere Ausbau (22, 23, 24) der Gemeinschaftsschule vereinbart. Ausgerechnet im Zeitraum der Rot-Schwarzen Koalition 2011-2016 wurden sieben, im gesamten Zeitraum 2016–2025 jedoch nur vier weitere Gemeinschaftsschulen gegründet, obwohl es darüber hinaus Interessenten gab – und gibt. Die Zahl der Gemeinschaftsschulen in privater Trägerschaft nahm hingegen deutlicher zu. In der Zeit bis 2023 war das Schulressort in sozialdemokratischer Hand.
- In den unmittelbaren Folgejahren nach dem Start der Pilotphase rief die Senatsverwaltung zur Bewerbung für die Teilnahme an der Pilotphase auf. Weitere Initiativen seitens der Schulpolitik, um für die Neugründung von Gemeinschaftsschulen zu werben, gab es nicht.
- Es folgte eine Auseinandersetzung über den „leistungsdifferenzierten Unterricht“. Trotz der Veränderungen in den KMK – Vereinbarungen steht tatsächlich in der Berliner Sekundarstufenverordnung diese unsinnige Formulierung: „Notenstufen und Punktwerte … an der Gemeinschaftsschule im leistungsdifferenzierten und nicht leistungsdifferenzierten Unterricht“.
- Damit wird ein völlig unpädagogisches Verständnis von „Differenzierung“ dokumentiert. Wichtig ist offenbar nur, dass in einigen ausgewählten Fächern die Schüler alle halben Jahre einem Niveau zugeteilt und dann nach unterschiedlichen Zensurenskalen beurteilt werden. Weniger wichtig ist, dass das Lernen so organisiert wird, dass jeder Lernende die Chance hat, zu für ihn optimalen Ergebnissen zu kommen und das egal ob in Mathematik oder Geschichte. Das geht nun ’mal nur mit der Respektierung individueller Lernwege auch im „nicht leistungsdifferenzierten“ Unterricht. Obwohl sich alle Gemeinschaftsschulen zur Binnendifferenzierung verpflichtet haben; es gibt gar keine E- und G-Kurse, wurde von ihnen tatsächlich erwartet, regelmäßige Niveau-Zuweisungen für jede/n Schüler/in vorzunehmen. Einige Schulleitungen drohten mit ihrem Rücktritt. Übrigens wird die SEK I-Verordnung bis heute kreativ angewendet, um den zugemuteten pädagogischen Unsinn zu vermeiden.
- Die für eine durchgängige Schule naheliegende gleiche Zügigkeit in Grund- und Mittelstufe ist nur in wenigen Gemeinschaftsschulen erreicht, meist in denen, die aus einer Grundschule aufgewachsen sind. Forderungen auf diese Gleichzügigkeit stoßen insbesondere bei vielen Bezirksverwaltungen auf Unverständnis, Ablehnung und sogar kontraproduktive Entscheidungen.
- 2016 wurde die „Berlin-Studie“ (25) veröffentlicht, in der die Wirkungen des Zwei-Säulen-Modells untersucht werden sollten. In dieser Studie kommt die Gemeinschaftsschule praktisch nicht vor. Den Gymnasien und den integrierten Schulen ohne Oberstufe wurde ein Leistungsrückgang attestiert – im Gegensatz zu zu den integrierten Schulen mit eigener Oberstufe; ca. 40 % dieser Schulen sind Gemeinschaftsschulen. Eine Differenzierung wäre wohl angebracht.
- 2020 erschien die von der Senatsverwaltung in Auftrag gegebene „Qualitätsstudie“ (26). Auch hier wird die Gemeinschaftsschule im Wesentlichen als Unterart der integrierten Sekundarschule gesehen. Einer der Kritikpunkte (27) an der Studie war die Aussage, dass „Spitzenleistungen nur an den Gymnasien erreicht werden“ (S. 85). Deutlich im Widerspruch hierzu steht, dass die öffentliche Berliner Schule mit dem besten Abiturergebnis im selben Jahr die Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule war (28). Ist das nicht ein deutlicher Hinweis, grundsätzlich die undifferenzierte Beurteilung von ISSen und Gemeinschaftsschulen zu hinterfragen?
- Gemeinschaftsschulen erhielten Schulnummern der integrierten Sekundarschulen und werden in der Schulstatistik auch bis heute nicht getrennt ausgewiesen, obwohl sie seit 2018 eigenständige Schulart sind.
Der Widerstand, den die Gemeinschaftsschulen erfuhren, war zwar stark aber keineswegs eine geschlossene Front: Die im Koalitionsvertrag vereinbarte rechtliche Verankerung der Gemeinschaftsschule im Schulgesetz als Regelschule wäre sonst wohl nicht beschlossen worden. Hier haben die Netzwerke der Gemeinschaftsschulen und insbesondere der Eltern stark geholfen. Andere im Koalitionsvertrag von 2016 vorgesehene Maßnahmen zur Stärkung der Gemeinschaftsschulen wurden nur sehr rudimentär angegangen (29).
Trotz äußeren Drucks auf die Gemeinschaftsschulen ging die pädagogische Entwicklung weiter. Belege dafür sind einige bundesweite Schulpreise, die Berliner Gemeinschaftsschulen errangen: 2019 die Friedenauer Gemeinschaftsschule den Jakob-Muth-Preis, 2024 die Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule und die Friedenauer Gemeinschaftsschule den Deutschen Schulpreis an. Damit konnte erneut gezeigt werden: Veränderte Schulstruktur kann durchaus zu besseren Ergebnissen führen, wenn die dadurch gebotenen Chancen für eine veränderte Lernkultur genutzt werden.
Runder Tisch und Netzwerke
Bereits vor dem Start der Pilotphase Gemeinschaftsschule hatte der Runde Tisch Gemeinschaftsschule Berlin seine Tätigkeit aufgenommen. Er verstand sich als Informations- und Austausch-Börse und hat 2007–2015 die Entwicklung kritisch-konstruktiv begleitet (30). Hier traf man sich, um sich gegenseitig zu informieren und zu beraten. Außerdem veranstaltete der Runde Tisch öffentliche Veranstaltungen.
U. a. als Antwort auf die Forderungen der Schulverwaltung, die für die Schulen Angriffe auf Kernthemen ihrer Konzeption waren, wurde 2010 das Netzwerk der Gemeinschaftsschulen gegründet. Weil hierfür andere Veranstaltungsformate sinnvoller waren, aber auch das öffentliche Interesse nachließ, verlagerten sich die Kontakte unter der Gemeinschaftsschulen vom Runden Tisch hin zu Netzwerkaktivitäten.
Aus dem Netzwerk heraus wurde dann die Vereinigung der Schulleiter/innen in der GGG Berlin gegründet, um an wesentlichen Entscheidungsprozessen beteiligt zu werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden auch auf Verwaltungsebene die Gemeinschaftssschulen ignoriert, z. B bei Verbandsanhörungen.
2022 gab es eine Initiative mit Hilfe externer Moderation das Selbstverständnis der Gemeinschaftsschulen in Berlin zu schärfen, die Arbeit im Netzwerk zu intensivieren und die bewährte inhaltliche Zusammenarbeit zu vertiefen. Das gründlich diskutierte „Selbstverständnis der Berliner Gemeinschaftsschulen“ (31) ist ein Ergebnis, der nun offizielle Name des Netzwerkes „Netzwerk der Gemeinschaftsschulen Berlin in der GGG“ und ein inhaltliches Programm sind weitere. An den Treffen alle sechs Wochen beteiligen sich regelmäßig ca. 40 Kolleg*innen aus 20 Schulen. Gemeinschaftsschulen, die sich neu gründen (wollen), finden Unterstützung.
In letzter Zeit sind bundesweit, aber auch auf Berliner Ebene Aktivitäten zu verzeichnen, die die Idee der gemeinsamen Schule für alle wieder stärker in den Diskursfokus rücken. B90/Die Grünen (32) und Die Linken (33) in Berlin fordern eine deutliche Stärkung der Gemeinschaftsschulen, u. a. eine Verdopplung ihrer Anzahl in vier Jahren, die SPD überlegt noch. Und 2026 sind die nächsten Wahlen in Berlin. Es gibt viel zu tun.
Quellen:
(1) Wissenschaftliche Begleitung der Pilotphase Gemeinschaftsschule Berlin:
https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/bildungswege/gemeinschaftsschule/#headline_1_5
(2) Wissenschaftliche Begleitung der Pilotphase Gemeinschaftsschule Berlin: Gemeinschaftsschule gestalten
Praxisleitfaden (2011-10):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/159?download=974
Materialsammlung (2011-10)
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/159?download=975
(3) Ulrich Vieluf (2014): Was integrierte Schulen können – Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung der Pilotphase Gemeinschaftsschule Berlin, Vortrag anlässlich der GGG-Bundesarbeitstagung 15. Nov. 2014 IG-Mannheim-Herzogenried:
https://ggg-web.de/schulen/572/530
(4) Ulrich Vieluf: Die Berliner Gemeinschaftsschule als Prototyp einer inklusiven Schule?, in Die Schule für alle 2021/1, S. 26–31:
https://ggg-web.de/publikationen/ggg-zeitschrift/1494
https://ggg-web.de/bildung-politik/131/1497
(5) BLZ – Zeitschrift der GEW Berlin 09/2008 – Gemeinschaftsschule – Eine für alle:
https://www.gew-berlin.de/suche?id=10713&tx_solr%5Bq%5D=Gemeinschaftsschule+2008
(6) Beschluss des Abgeordnetenhauses von Berlin 25.6.2009: https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=1056
(7) Lothar Sack: Berlin, in Die Schule für alle 2023/3, S. 10–13
https://ggg-web.de/publikationen/ggg-zeitschrift/2108#berlin
https://ggg-web.de/be-bildung-politik/560/2113
(8) SenBWF: Weiterentwicklung der Berliner Schulstruktur – PM vom 2008-09:
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=2842
(9) J. Zöllner: Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Berliner Schulstruktur:
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=2851:
(10) DGB Berlin: Etikettenschwindel bei Gemeinschaftsschule – Stellungnahme zur PM vom Sept. 2008 (2008-09):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/106?download=2846
(11) Grundschulverband Berlin: So nicht! – Stellungnahme zur PM vom Sept. 2008 (2008-10):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/106?download=2847
(12) AK Gem: Stellungnahme zu den Eckpunkten zur Schulstruktur (2008-11):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/106?download=2848
(13) Runder Tisch Gemeinschaftsschule: Zu kurz gesprungen – Stellungnahme zur PM vom Sept. 2008 (2008-10)
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/106?download=961
(14) BL – AfB in der SPD: Stellungnahme zur Weiterentwicklung der Berliner Schulstruktur (2008-09):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/106?download=2849
(15) Abgeordnetengruppe SPD – Die Linke: Bildungsziele für Berlin (2008-09):
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/106?download=2850
(16) SenBWF: Aus drei mach zwei –Mitteilung des Senats an das Abgeordnetenhaus 11.02.2009:
https://ggg-web.de/be-bildung-politik/177/191#mitteilung-des-senats
(17) GGG-Berlin: Stellungnahme zur Mitteilung des Senats vom 11.02.2009:
https://ggg-web.de/be-bildung-politik/177/191
(18) GEW Berlin: Schulstrukturreform in Berlin – Beschluss der LDV vom 4.6.2009:
https://www.gew-berlin.de/aktuelles-beschluesse/detailseite-beschluesse/schulstrukturreform-in-berlin
(19) Runder Tisch Gemeinschaftsschule Berlin: Zu kurz gesprungen! – Stellungnahme zur Strukturreform 2010:
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/106?download=963
(20) R. Giese: Berlin hat(te) eine Chance:
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=2853
(21) Koalitionsvereinbarung 2011 – Auszug – Bildung:
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=2839
(22) Koalitionsvereinbarung 2016 – Auszug – Bildung:
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=200
(23) Koalitionsvereinbarung 2021 – Auszug – Bildung:
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=2840
(24) Koalitionsvereinbarung 2023 – Auszug – Bildung:
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/121?download=2841
(25) DIPF u. a.: Das zweigliedrige Berliner Sekundarschulsystem auf dem Prüfstand: ein Zwischenresümee – Zusammenfassendes Abschlusskapitel aus dem zweiten Ergebnisbericht zur BERLIN-Studie:
https://www.dipf.de/de/forschung/pdf-forschung/steubis/BERLIN_Studie_Maerz_2017_wissenschaftliches_Fazit.pdf
(26) Qualitätskommission zur Schulqualität in Berlin: Empfehlungen zur Steigerung der Qualität von Bildung und Unterricht in Berlin – Abschlussbericht der Expertenkommission:
https://www.berlin.de/sen/bjf/service/presse/abschlussbericht_expertenkommission_6-10-2020.pdf?ts=1752664057
(27) GGG-Berlin, Qualitätskommission Berlin (2020-10) – Empfehlungen - nicht empfehlenswert – Stellungnahme des Berliner Landesvorstandes:
https://ggg-web.de/be-bildung-politik/177/1522
(28) Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie: Bestes Abitur seit Jahren in Berlin, Pressemitteilung, 25. Juni 2020
https://www.tagesspiegel.de/berlin/downloads/abitur2020-pm?icid=in-text-link_5072401
(29) Netzwerk der Gemeinschaftsschulen in Berlin: Forderungen an die Bildungspolitik (2021-09)
https://ggg-web.de/be-bildung-politik/177/1697
(29) Runder Tisch Gemeinschaftsschule Berlin – diverse Veröffentlichungen:
https://ggg-web.de/termine/98/761#ggg-be-runder-tisch-gemeinschaftsschule
(30) Netzwerk der Berliner Gemeinschaftsschulen: Selbstverständnis der Berliner Gemeinschaftsschulen:
https://ggg-web.de/be-service/be-downloads/category/512?download=2852
(31) Grüne wollen Anzahl der GemSen verdoppeln:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/schule/schule-des-21-jahrhunderts-grune-wollen-zahl-der-gemeinschaftsschulen-in-berlin-verdoppeln-14100413.html
(32) Linke wollen Anzahl der GemSen verdoppeln:
https://www.linksfraktion.berlin/politik/presse/detail/berliner-linksfraktion-will-anzahl-der-gemeinschaftsschulen-bis-2031-verdoppeln/
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
T. Barthl, R. Giese, L. Sack, K. Schmahl: ... und wie weiter?
Ein Ausblick
Die bisherige Stellung der Gemeinschaftsschulen als eine eher geduldete Schulart neben anderen kann nicht befriedigen. Wir skizzieren hier, warum und wie es weitergehen kann, welche Hindernisse überwunden werden müssen und was dafür auch im Einzelnen erforderlich ist.
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… und wie weiter?
Ein Ausblick
Gemeinschaftsschulen gibt es in Berlin seit 2008, also nunmehr seit 16 Jahren. Es ist Zeit, über den Stellenwert und die Bedeutung dieser Schulart für die Berliner Schullandschaft nachzudenken. Die bisherige Stellung der Gemeinschaftsschulen als eine eher geduldete Schulart neben anderen kann nicht befriedigen. Das widerspricht den ursprünglichen Absichten sowie den eigentlich notwendigen Konsequenzen, die aus den positiven Ergebnissen und Erfahrungen gezogen werden müssten. Wir skizzieren hier, warum und wie es weitergehen kann, welche Hindernisse überwunden werden müssen und was dafür auch im Einzelnen erforderlich ist.
Teil 1– Die schulpolitische Sicht
Robert Giese, Lothar Sack
Wir können es schon fast nicht mehr hören:
- eine hohe und steigende Schulabbrecherquote – dabei sind die „Köpfe der Menschen“ doch unser Kapital –,
- beklagenswerte kognitiven Schülerleistungen,
- trotz einer Schulart für die „Begabten“ keine besseren Spitzenleistungen als in Ländern mit integrierten Schulsystemen,
- Spitzenwerte bei der Abhängigkeit des (nicht nur) schulischen Erfolges von der sozialen Herkunft.
Mittlerweile muss man wohl hinzufügen: Immer mehr Jugendliche sind anfällig für undemokratische bis totalitäre Denkweisen und Taten. Einer der Treiber: ungenügende Bildung.
Unser Schulsystem begünstigt gesellschaftliche Spaltung, anstatt gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stiften.
Wenn Mängel nicht mehr zu übersehen sind, gibt es häufig nur nachträgliche Reparaturversuche, obendrein meist teuer und zeitlich begrenzt, die Legislaturperiode ist beendet – aber ohne nachhaltige Wirkung.
An einer Stelle ist Bewegung nicht nur ins Reden, auch ins Handeln gekommen: die vorschulische Phase. Jedoch der andere große Hemmschuh für mehr Chancengleichheit verharrt bisher in Stagnation: die frühzeitige Trennung der Kinder in unterschiedlich wertige Schularten der Sekundarstufe, die Selektion der Kinder nach Sozialmilieus mit der Begründung der Bestenauslese. AfD, CSU, CDU, der Philologenverband wollen das bisher so … und viele Eltern auch. Und die Lehrer?
Da gibt es gelingende Schulen – etwa die Schulpreis-Schulen – sowie Schulversuchen mit beachtlich positiven Ergebnissen. Das ist häufig Anlass für schöne Feiern mit entsprechenden Reden. Schulpolitische Konsequenzen?: Keine.
Dabei gibt es in Berlin Schulen, die die oben skizzierten Defizite unseres Schulsystems erfolgreich angehen. Die beiden voranstehenden Beiträge handeln ausführlich davon. Wir fühlen uns bestärkt: Es ist ein richtiger Weg, die wirksamen Bausteine der gelingenden Schulen zu erkennen und sie zur Grundlage der Weiterentwicklung unseres Schulsystems zu machen. Das war die ursprüngliche Absicht bei der Einrichtung der Pilotphase Gemeinschaftsschule Berlin.
Doch es gibt Hindernisse, Widerstände und Vorbehalte, deren Reduzierung oder gar Beseitigung nicht trivial ist.
Wie kann der Gewöhnung (fast) aller, vornehmlich derer, die Einfluss haben, an ein Schulsystem mit ungleich wertigen Schulen, entgegengewirkt werden?.
Wie können Politiker überzeugt werden, sich über eine Wahlperiode hinaus an längerfristigen bildungspolitischen Zielen und ihren gesellschaftlichen Implikationen zu orientieren?
Wie können Schulen aller Schularten, die Unterricht nur in möglichst homogenen Lerngruppen für richtig halten, überzeugt werden, dass Lernen besser und nachhaltiger gelingt, wenn den Lernenden Raum und Zeit gegeben wird, ihren jeweils eigenen Lernweg zu finden? Dann sind heterogene Gruppen kein Risiko, sondern Bereicherung.
Wie können Eltern davon überzeugt werden, dass auch ihre klugen Kinder vom Besuch einer integrierten Schule profitieren?
Wie kann eine Verwaltung davon überzeugt werden, dass es auch für ihre Arbeit vorteilhaft ist, nach neuen Strukturen zu suchen? Wenn Schulwechsel nur aus individuellen Gründen erfolgen und nicht systemisch bedingt sind, reduziert sich Arbeit und Ärger mit der Schulplatzvergabe auf Einzelfälle.
Wie kann die Arbeit der Gemeinschaftsschulen öffentlich stärker wahrgenommen werden?
Wir brauchen systemisch verankerte Aktivitäten, die Vorbehalte reduzieren, die Neugründungen von Gemeinschaftsschulen fördern, die bestehende Gemeinschaftsschulen stärken und sie in ihrer Entwicklung und Vernetzung unterstützen und den Schulen effektive Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch bieten. Dafür ist es nötig, den Blick auf die Gemeinschaftsschule zu korrigieren. Hier sind Bildungspolitik und Verwaltung gefordert.
Die Gemeinschaftsschulen sind bereit, ihren Beitrag für einen Diskurs über eine Schule zu leisten, die jeden einzeln aber auch unsere Gesellschaft voranbringt. Sie sind bereit, ihre Arbeit der Öffentlichkeit zu zeigen, gehen dabei mit Entwicklungsvorhaben auch dann offen um, wenn sie nicht auf Anhieb funktionieren. Auch Skeptiker sind eingeladen. Wir wollen zeigen, wie längeres gemeinsames Lernen geht, dass es eine bessere Lösung gibt als separierten Unterricht. Ein Instrument hierfür sind Schulbesuchstage. Die nächsten sind für den Februar 2026 vorgesehen.
Sinnvoll erscheinen uns u. a. folgende Vorhaben:
- Senatsverwaltung und Bezirksämter identifizieren neue Standorte für Gemeinschaftsschulen im Bestand und bei Neubauten.
- Die Senatsverwaltung weist alle Schulen regelmäßig auf die Möglichkeit hin, Gemeinschaftsschule zu werden und fordert auf, davon Gebrauch zu machen. Grundschulen und Gymnasien sind hierbei genauso Adressaten wie die ISSen.
- Senatsverwaltung und Bezirksämter führen mit Bewerberschulen Gespräche darüber, wie der Wunsch auf Umwandlung in eine Gemeinschaftsschule realisiert werden kann. Das geschieht vordringlich mit den Schulen, die z. T. seit mehreren Jahren immer wieder vergeblich Anträge gestellt bzw. ihr Interesse bekundet haben.
- Für die Bewerberschulen wird ein Qualifizierungs- und Fortbildungsprogramm angeboten, das die jeweiligen Entwicklungsbedürfnisse der Schulen aufgreift.
Mit Freude stellen wir fest, dass die Situation auch von anderen gesellschaftlichen Instanzen ähnlich gesehen wird. Da gibt es vernichtende Urteile über unser Schulsystem und Hinweise, wie das zu ändern ist. Es äußern sich u. a. John Hattie – „Deutschland hat das ungerechteste Schulsystem, das ich kenne.“ – (1, 2), Marcel Helbig (3), die GEW (4), das Ifo-Institut (5), der Bürgerrat Bildung und Lernen (6), die Bertelsmann Stiftung (7), auf Berliner Ebene der Landesschülerausschuss (8), die Linken (9), B90/Die Grünen (10, 11, 12).
Teil 2 – Die Sicht auf die Schule
Tobias Barthl, Robert Giese, Katrin Schmahl
Neue Gemeinschaftsschulen sind angesagt. Aber auch die bestehenden Schulen brauchen Stärkung, Verlässlichkeit, Entwicklungsspielraum und notwendige Ressourcen. Im Folgenden wird beschrieben, wie wir uns die Gemeinschaftsschule künftig vorstellen. Was davon (noch) nicht realisiert ist, verstehen wir durchaus als Forderung an Politik und Gesellschaft:
- Die Gemeinschaftsschule versteht sich als „gemeinsame Schule für alle“, ist also inklusiv und nimmt Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf. Sie ist an einer bevölkerungsrepräsentativen Schülerschaft interessiert.
- Jede Gemeinschaftsschule hat eine Grund-, Mittel- und Oberstufe (immer 1–13).
- Die Zügigkeit zumindest der Primarstufe und der Sek I ist grundsätzlich immer gleich.
- Die zusätzliche Zuweisung von Schüler/innen durch die Bezirksämter erfolgt in Absprache mit der jeweiligen Schule und unter Berücksichtigung ihrer pädagogischen Konzeption.
- Die Aufnahme in die Schulanfangsphase erfolgt mit der Aufteilung nach 50 % Einzugsgebiet und 50 % auf Antrag. Bei einer deutlichen Veränderung der Zahl der Gemeinschaftsschulen ist es sinnvoll, diese Quotierung neu festzulegen.
- Die Aufnahme von Geschwistern hat Vorrang vor allen anderen Aufnahmeregelungen und gilt stufenübergreifend für alle Jahrgänge.
- Alle Organisationsformen sind möglich und zulässig, favorisiert ist die jahrgangsübergreifende Form 1-3; 4-6 und 7-9.
- Die maximale Anzahl der Schüler/innen pro Lerngruppe ist 26.
- Schüler/innen mit sonderpädagogischer Förderung (SPF) mindestens in den Bereichen körperliche und motorische Entwicklung (KÖ), geistige Entwicklung (GE), Autismus (AUT) zählen für die Gruppenstärke doppelt.
- Für je drei Schüler/innen mit sonderpädagogischer Förderung (KÖ, GE oder AUT) in einer Lerngruppe gibt es eine Abminderung von zwei Unterrichtsstunden für die Lerngruppenleitung für Organisation und Arbeitsaufwand sowie zwei Stunden Abminderung für den Ganztagsbereich.
- Stunden für sonderpädagogische Förderung und für Schulhelfer/innen sind nicht gedeckelt.
- Binnendifferenzierung gilt für alle Schulstufen. Eine Niveau-Zuweisung der Schüler/innen und eine dauerhafte Einrichtung von Niveau-Kursen – G-, E-Kurse – findet nicht statt.
- Alle Schüler/innen dokumentieren ihr Lernen in altersgemäßer Form – z. B. Portfolio, Logbuch. Damit wird die Individualität der Lernwege sichtbar und bewusst gemacht. Die Instrumente dafür erarbeiten die Schulen eigenständig.
- Unabhängig von der Form der Leistungsbeurteilung werden Lernentwicklungsgespräche durchgeführt – hierfür erarbeiten die Schulen eigene Dokumentationsinstrumente.
- I. d. R. erfolgt die Lernstandsrückmeldung von Klasse 1–9 ohne Noten. Es finden notenfreie Beurteilungen – z. B. verbal, kompetenzorientiert – sowie Bilanz- und Planungsgespräche statt. Möchte eine Schule Ziffernnoten vergeben, ist dafür ein Schulkonferenzbeschluss erforderlich, der alle drei Jahre zu evaluieren und ggf. zu erneuern ist.
- Alle Lerngruppen arbeiten mit dem Klassenrat (Lerngruppenrat).
- Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist eine der Grundlagen für die Arbeit.
- IT-Infrastruktur und Werkstätten gehören zur Grundausstattung (z.B. Holzwerkstatt, Metallwerkstatt, Lehrküche, Textilwerkstatt, Keramikwerkstatt, Lernwerkstatt).
- Produktives Lernen, wie auch Praxislernklassen sind möglich. Bezirksamt und Senatsverwaltung leisten Unterstützung.
- Ein Schulgarten mit mind. 2.000 m2 Fläche gehört zur Grundausstattung.
- Alle Lehrer/innen haben die gleiche Unterrichtsverpflichtung (z.Z. in Höhe von 26 Stunden).
- Für Erzieherstellen gilt der Schlüssel: eine Stelle pro 15 Schüler/innen.
- Zuschnitt und Umfang der pädagogischen Funktionsstellen richtet sich nach der Größe der Schule.
- Für die Koordination der Mittelstufe (Jahrgänge 7–10) gibt es Abminderungsstunden: bei bis zu 416 Schüler/innen in 7–10 15 Std., bei mehr als 416 Schüler/innen 10 Std. für eine zweite Person.
- Der Umfang des zusätzlichen Personals (multiprofessionelle Teams) richtet sich nach einem Faktor auf der Grundlage des Sozialindex der Schule, belastet nicht das Standard-Kontingent der Schule.
- Jede Schule hat Anspruch auf je 1 Schulpsychologen, Qualitätsbeauftragten, Inklusionsbeauftragten, Krankenschwester, Werkstattmeister und IT-Techniker (zusätzlich zum Standard-Personal-Kontingent der Schule): ab 1.500 Schüler/innen je eine Stelle, darunter je eine halbe Stelle.
- Die Verwaltungsleitung ist an der Größe der Schule ausgerichtet: bis 1.000 Schüler/innen eine Stelle, darüber zwei Stellen.
- Die Haushaltsmittel für alle Bestellungen bewirtschaftet jede Schule in eigener Verantwortung. Das Bezirksamt kann beratend hinzugezogen werden. Es erfolgt eine Jahresabrechnung gegenüber dem Bezirksamt.
- In der Senatsverwaltung gibt es ein eigenes Referat für die Gemeinschaftsschule.
- Es gibt eine Gemeinschaftsschulverordnung, mindestens aber eine deutliche Hervorhebung der Regelungen für die Gemeinschaftsschule in der Primar- und Sekundarstufen-Verordnung.
- Gemeinschaftsschulen sind keine ausschließlichen Sekundarstufenschulen. Sie erhalten eigene Schulnummern mit einem Schulartkürzel verschieden von dem der integrierten Sekundarschulen, etwa 11E01 (E - für "Eine Schule für ALLE"), und werden auch in der Schulstatistik als eigene Schulart behandelt.
Für deutsche Ohren mögen diese Wünsche/Forderungen ziemlich opulent klingen; international, etwa in den skandinavischen Ländern ist dies jedoch Standard und tägliche Realität nicht nur einiger (privilegierter), sondern aller Schulen.
Quellen
(1) John Hattie: Deutschland hat das ungerechteste Schulsystem, das ich kenne, 2025-01:
https://ggg-web.de/bildung-politik/131/2566
(2) John Hattie: Wie können Sie denn bei Zehnjährigen schon wissen, wie sie mit 30 sein werden?, 2025-04:
https://ggg-web.de/bildung-politik/131/2384
(3) Marcel Helbig: Wenn die am wenigsten Begünstigten die größten Nachteile haben – Warum unser Schulsystem strukturell ungerecht ist, Eine für Alle Heft 10, 2025-08:
https://ggg-web.de/publikationen/ueberregional/eine-fuer-alle/2756
(4) GEW bekennt sich zur "Eine(n) Schule für alle" (2025-05):
https://ggg-web.de/bildung-politik/131/2714
(5) Ludger Wößmann u. a.: Ungleiche Bildungschancen – Ein Blick in die Bundesländer, 2024-05:
https://ggg-web.de/bildung-politik/131/2391
(6) Bürgerrat Bildung und Lernen: K/EINE CHANCE – Vorschläge für eine gerechte Bildung, 2023:
https://www.buergerrat-bildung-lernen.de/wp-content/uploads/2023/08/BRBL_Mai_2023_DS_NEU.pdf
(7) Bertelsmann Stiftung: Empfehlungen für eine veränderte Lern- und Prüfungskultur – Plädoyer für mutige Entscheidungen, Juni 25:
https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/Empfehlungen_fuer_eine_veraenderte_Lern_und_Pruefungskultur_final.pdf
(8) Landesschülerausschuss Berlin: Zukunftsforderungen – Akut versetzungsgefährdet – Wer die Bildung nur verwaltet, verliert die Zukunft!2025-06:
https://lsaberlin.de/.cm4all/uproc.php/0/Zukunftsforderungen.pdf?cdp=a&_=1976a7f4e98
(9) Linke wollen Anzahl der Gemeinschaftsschulen verdoppeln (2025-07):
https://www.linksfraktion.berlin/politik/presse/detail/berliner-linksfraktion-will-anzahl-der-gemeinschaftsschulen-bis-2031-verdoppeln
(10) FIBS: Potenzialstudie Ausbau von Gemeinschaftsschulen, Abschlussbericht 2025:
https://gruene-fraktion.berlin/download/potenzialstudie-ausbau-von-gemeinschaftsschulen-fibs/?tmstv=1754742729
(11) Die Grünen, LAG Bildung: Gemeinschaftsschulen mit klaren Qualitätskriterien – Positionspapier der LAG Bildung Bündnis 90/Die Grünen Berlin, 15.05.2025:
https://gruene.berlin/nachrichten-lag-bildung/positionspapier-gemeinschaftsschulen-mit-klaren-qualitaetskriterien_3571
(12) Grüne wollen Anzahl der Gemeinschaftsschulen verdoppeln (2025-07):
https://www.tagesspiegel.de/berlin/schule/schule-des-21-jahrhunderts-grune-wollen-zahl-der-gemeinschaftsschulen-in-berlin-verdoppeln-14100413.html
Artikel aus Die Schule für alle Heft 2025/3
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